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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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dem General.
    »UUUUND – ABZählen!«
    In der Reihe wurde es unruhig. Die Soldaten drehten die Köpfe aufgeregt nach allen Seiten, scharrten mit den Füßen, ihre Säbelgehänge klirrten.
    »Abzählen, ihr Automaten! Abzählen, habe ich gesagt!«
    Eine peinliche Stille legte sich über den Platz. Der Himmel war jetzt von einem tiefen Dunkelblau, mit violetten Schlieren durchzogen. Der General tappte ungeduldig mit dem Stiefel aufs Pflaster. Die Wut schien in ihm aufzusteigen wie Lava in einem Vulkan.
    »Fünf!«, kiekste plötzlich einer der Trabanten.
    Damit war der Bann gebrochen. Die Soldaten begannen eifrig Zahlen zu krähen.
    »Zwei!«
    »Sieben!«
    »Zwölf!«
    »Acht!«
    »NEIN!« Der General Grimbert stampfte wütend auf.
    »Drei!«
    »Elf!«
    »Aufhören! Aufhören ! «, brüllte er in den Zahlensalat hinein.
    »Neun!«
    Die Trabanten kamen gerade erst so richtig in Fahrt.
    »Vier!«
    »Zehn!«
    »Von vorne! Von vorne zählen!« Grimberts Stimme zitterte – vor Wut oder aus lauter Verzweiflung. »Eins, zwei, drei, vier! Hört ihr? Von vorne!« Jetzt stand der General wieder still. Plötzlich hingen seine Schultern.
    »General?«, stotterte einer der Trabanten. »Ich bi-bi-bi-bitte um Vergebung, aber e-e-e-eben war ich die Nummer a-a-a-acht. Ich weiß es no-no-no-noch ganz genau. B-B-B-Beim Abzählen eben. Ich erinnere mich d-d-d-deutlich. Als wä-wä-wä-wär’s gestern gewesen.« Er hängte noch ein erleichtertes »Jawohl!« an. Jetzt war es raus.
    Jonas hätte etwas dafür gegeben, das Gesicht des Generals in diesem Augenblick aus der Nähe sehen zu können. Wahrscheinlich stand ihm gerade der Mund offen. Vielleicht schloss er auch einfach nur die Augen. Es geschah ihm recht – dem Wichtjäger, dem Rubenfänger! Auch wenn das nur ein schwacher Trost war.
    »Ja«, sagte Grimbert matt. »Eben warst du die Acht.« Er ließ den Kopf hängen. »Wir üben das noch einmal«, erklärte er. »Aber erst morgen. Für heute ist’s genug.« Er seufzte so laut, dass man es über den ganzen Platz hören konnte. »ABTEILUNG?« Er hatte wieder die Stimme gehoben. »Halb links schwenkt! … MARSCH!«
    Eine halbe Drehung später trotteten die Trabanten im Gänsemarsch davon, bis das Portal der Kaserne sie einen nach dem anderen schluckte. Sie verschwanden wie Ameisen in ihrem Bau.
    Der General blieb mutterseelenallein auf dem verwaisten Platz zurück und pulte mit der Stiefelspitze zwischen den Pflastersteinen. Bald schon würde er nicht mehr als eine schwarze Silhouette sein, ein einsamer Baum im späten Abendlicht, ein zackiger Schatten.
    Jonas’ Blick glitt an den Mauern der Kaserne hinauf. Waren die Fenster vergittert? Er dachte an die vergangene Nacht. Diese Trabantensoldaten waren selbst zum Abzählen zu stumpf. Aber sie hatten Ruben dennoch gefangen – sie waren viele. Ob Ruben hinter einem dieser Fenster war? Sah er vielleicht hinaus? Beobachtete er den entmutigten General, so, wie Jonas und Ole ihn beobachteten? Oder lag er in irgendeinem Keller in Ketten?
    »He! Ihr da!«
    Jonas schrak zusammen. Mit langen Schritten kam Grimbert auf sie zu. Jeder von Jonas’ Muskeln spannte sich, er war schon auf dem Sprung. Weg! Aber Oles Finger krallten sich in seinen Ärmel.
    »Zu spät«, wisperte er.
    Die Absätze des Generals knallten aufs Pflaster, dann hatte er die Allee erreicht und stand vor ihnen – lange Beine, breite Schultern und ein wolliger Backenbart im Gesicht. Wie eine Felsnase ragte sein glattes Kinn aus den Barthaaren hervor.
    Auf dem gewaltigen Schädel trug Grimbert einen Dreispitz mit steil nach oben gebogener Krempe, an seiner gewölbten Brust klimperten und bimmelten die Orden so lange, bis der General ganz still stand. Es war nur ein paar Stunden her, dass sich dieser Mann ziemlich genau so vor Ruben aufgebaut hatte.
    Raus mit der Sprache, du Bandit! Jonas hatte es noch in den Ohren. Er sah Ruben wieder vor sich, die Arme auf den Rücken gedreht, das Haar in der Stirn. Er verschloss seine Lippen, so fest er konnte.
    »Wohin des Wegs?« Grimbert hatte seinen Blick auf Ole gerichtet, aber der hielt den Kopf gesenkt. »Na? Raus mit der Sprache!«
    Die gleichen Worte!, dachte Jonas.
    Ole antwortete leise, ohne aufzusehen. »Zum Marquis de Lunette«, sagte er. »Wir werden erwartet.«
    Der General stemmte die Hände in die Hüften und räusperte sich. »So«, brummte er. »Zum Marquis also. Und woher?«
    »Aus der Flüsterstadt«, antwortete Ole, und Jonas versuchte seine Überraschung zu verbergen.

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