Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Und dafür, dass sie sich das ausgedacht hat, gehört sie dreimal, dreißigmal, dreihundertmal angespien!« Der Sturm in seiner Stimme flaute ab. »Als ich König war, Hänselchen«, sagte er sanft, »gab es keine Unwahrscheinlichen. Keine hässlichen Prozesse! Mein Reich war Dichtung!« Er breitete die Arme aus.
» Sie? «, fragte Jonas endlich. »Die Kaiserin?«
»Nenn sie nicht so«, sagte Leopold barsch. »Sprich gar nicht über sie.«
Eine Weile schwiegen sie beide. Dann hatte Leopold sich wieder beruhigt.
»Und du willst, dass ich deinen Onkel begnadige, ja? Ihm diesen Prozess erspare?«
Jonas nickte eifrig. Er machte auch schon voller Hoffnung den Mund auf, aber Leopold bedeutete ihm zu schweigen.
»Oh, ich weiß schon!«, sagte er. »Seit Wochen habt ihr nichts zu essen. Deine kleine Schwester, noch ein Säugling, weint vor Hunger. Und deine Mutter weint bittere Tränen. Deinen Vater hat die Schwindsucht geholt, nicht wahr? Oh ja! Und ohne die redliche Arbeit deines Onkels auf dem Feld, hinter dem Pflug, im Schweiße seines Angesichts, habt ihr nichts zu essen. Oh, ich weiß, ich weiß! Ach!« Er hielt inne, sehr bewegt. »Natürlich begnadige ich deinen Onkel! Gleich soll er freikommen! Und belohnen will ich sein gutes, großes Herz! Und Grimbert, dieser grobe Klotz, wird degradiert!«
Jonas hörte Schritte.
»Jeden Orden einzeln werde ich ihm vom Rock pflücken lassen! Auch er muss angespien werden! Mehrtausend …«
»Eure erbliche Majestät? Eure erbliche Majestät?« Die zaghaften Rufe kamen aus der Tiefe des Saals.
Jonas hatte den Marquis de Lunette schon erkannt. Mit wehendem Rock kam er über das Parkett geklappert, ein wenig gebeugt und aufgeregt.
Leopold schaute überrascht auf. »Marquis!«, rief er und klang nicht einmal verärgert. Er erhob sich, also beeilte sich auch Jonas, auf die Füße zu kommen. Ruben würde begnadigt werden! Er strahlte.
Lunette kam vor ihnen zum Stehen. Er rang nach Atem. Jonas hätte ihm so gern gesagt, dass alles gut würde.
»Woher wussten Sie, Marquis, dass ich soeben das chinesische Zeremoniell aufgehoben habe?«, fragte Leopold leutselig.
Einen Augenblick lang wirkte Lunette verwirrt, dann rettete er sich in eine tiefe Verbeugung. »Es stand«, sagte er, als er wieder auftauchte, »in den Sternen, Eure erbliche Majestät!«
»Ach! So? Tatsächlich?«
»Ja«, keuchte Lunette. »Aber«, er holte tief Luft, »das ist nicht alles, Eure erbliche Majestät. Es ist …« Er zögerte. »Treten Sie doch bitte ans Fenster und sehen Sie selbst.«
Leopold nickte gnädig.
Eilig führte der Marquis sie aus dem Saal bis an ein großes Fenster. Dort zog er die Vorhänge beiseite und Jonas’ Blick fiel auf ein Meer aus Lichtern.
Leopold neben ihm schien zur Salzsäule erstarrt.
Das große Fenster führte auf die andere Seite des Schlosses hinaus, nicht zum Park. Im hellen Schein erkannte Jonas eine schnurgerade, kilometerlange Auffahrt, über die mit Fackeln bewehrte Trabanten wie Glühwürmchen irrten. Erst nach und nach fanden sie ihren Platz und säumten schließlich die Auffahrt, bis sie wie eine Straße aus Feuer wirkte.
Als Jonas die Kutsche sehen konnte, ertönte Jubelgeschrei. Die Trabanten draußen waren ganz aus dem Häuschen.
»Nein!«, flüsterte Leopold heiser.
Die Kutsche war aus purem Gold, der Widerschein der Fackeln ließ sie leuchten. Zügig bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge, die immer lauter schrie. Dann kam sie unmittelbar unter dem Fenster zum Stehen. Der gepflasterte Platz dort draußen war jetzt grell erleuchtet, es wimmelte von Trabanten.
Die Stirn des Marquis’ lag in tiefen Falten. Das Licht draußen warf wilde Schatten bis in sein zerfurchtes Gesicht.
Leopold war auf die Knie gesunken. Er raufte sich das Haar, bis ein Orkan auf seinem Schädel tobte. »Nein! Nein! Nein!«, jammerte er. »Ich will nicht, dass sie gekommen ist! Ich will sie nicht sehen!«
Jonas starrte wie gebannt auf die funkelnde Kutsche. Dass seine Hoffnung, Ruben könne freikommen, vergebens gewesen war, wusste er in diesem Augenblick. Denn die Kaiserin, die aus der Kutsche stieg, war niemand anderes als Alma.
Das 23. Kapitel
Kleine Geschichte Kanarias, zweiter Teil
Ich kenne sie!«, keuchte Jonas. »Ich weiß, wer sie ist!« Schritte hallten in den Gängen, Lunette zerrte an seinem Arm.
Das ganze Schloss war in Aufruhr. Trabanten mit flackernden, rußenden Fackeln kamen ihnen in den Dienstbotengängen entgegen. Jonas spürte die Hitze der Flammen,
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