Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
wenn die Trabanten sich an ihnen vorbeidrängten. Er und der Marquis schwammen gegen den Strom.
»Später!«, raunte der Marquis. Schweißperlen rannen über seine Wangen und verschmierten das Puder.
Aber später gab es nicht. Jonas’ Gedanken blitzten. Auch wenn er es sich nie recht hatte vorstellen können, so hatte er doch gewusst, dass Alma in Callamaar gewesen war und Kanaria kennen musste, aber dass sie die unfehlbare Höchste Kaiserliche Hoheit war – Herrscherin zu Wasser und zu Lande – Herrscherin über Körper und Geist – Kaiserin an Ais statt – , das wollte nicht in seinen Kopf. Wie konnte, wer in Wunderlich wohnte, Kaiserin in Kanaria sein? Blieb man denn nicht derselbe, wenn man in den Schrank ging? Aber er war doch derselbe geblieben! Jonas, sonst nichts.
»Ich weiß, wer sie ist!«, presste er noch einmal hervor, aber statt nachzufragen, zog Lunette nur wieder an Jonas’ Arm.
Wie einen, dem nicht zu helfen ist, hatten sie den mal wimmernden, mal wütenden Erbprinzen zurückgelassen, ein Häuflein Elend, überstrahlt vom Glanz seiner Säle. »Wir müssen zu Ole.« Mehr hatte Lunette seitdem nicht gesagt.
Sie stolperten durch den Gang zu seinen Räumen und Lunette schloss lautstark die Tür. »Verdammt!«, entfuhr es ihm.
Ole stand still in der Tür zum zweiten Zimmer. »Ich weiß schon«, sagte er leise.
Lunette atmete schwer. »Du musst … verschwinden«, keuchte er. »Ich habe … nicht gedacht, … dass sie … so bald wiederkommt.« Er wischte sich die Stirn.
Ole lehnte sich gegen den Türrahmen und sah eine Weile zum dunklen Fenster hinüber. »Keine Begnadigung, schätze ich«, sagte er dann an Jonas gewandt.
Jonas schüttelte den Kopf. Das war das Allerschlimmste. Rubens Schicksal lag in Almas Hand! Ihm wurde schlecht bei diesem Gedanken. Alma hasste Ruben – auch dafür, dass er sein Freund war.
»Ich muss ihn befreien«, sagte er unvermittelt. »Unbedingt.«
»Vor allem müssen wir jetzt einen klaren Kopf bewahren.« Lunette hatte Atem geschöpft. Der Schweiß hatte feine Linien in sein Gesicht gemalt. »Was soll das heißen – du kennst sie?«
Jonas wurde es heiß und kalt. Unsicher sah er Ole an. »Ich …«, begann er. »Sie …« Wo sollte er anfangen?
»Moment mal!« Ole trat einen Schritt näher. »Kennst wen ? Die Kaiserin ?«
Jonas nickte. Er konnte Oles und Lunettes Blicke spüren, die Aufmerksamkeit war ihm unangenehm.
»Nun red schon«, drängte Ole.
Jonas stockte jetzt erst recht. Hilflos und stumm stand er da, bis sich endlich die ersten Worte lösten. »Ich habe dir doch von dem Schrank erzählt. Weißt du noch?« Verunsichert sah er zu Lunette hinüber.
»Schrank?«, fragte der Marquis bloß.
»Ein Schrank, ja. So ein großes, schwarzes Ding. Er steht in Wunderlich. Wunderlich ist ein Herrenhaus. Da komme ich her. Und Alma auch. Die Kaiserin, meine ich.«
»Alma«, sagte Lunette tonlos. Es war keine Frage. Er musste den Namen in Claras Heft schon einmal gelesen haben.
»Bist du sicher?«, fragte Ole misstrauisch.
Ein wenig später hockten sie vor dem Kamin, die Jungen auf dem Boden, Lunette auf einem Stuhl. Stockend hatte Jonas seine Geschichte zu Ende gebracht. Er hatte von Peregrin Aber und dem Testament erzählt, von Alma und Irmingast, von Ruben und Tabbi, dem Spielzimmer und den Schüssen, die gefallen waren. Dass er zwölf war, hatte er allerdings nicht gesagt – dafür war es zu spät, und außerdem galt Rubens Warnung nach wie vor. Und auch von den Sonneberger Figuren hatte er geschwiegen. Sie blieben sein Geheimnis.
Lunette starrte grübelnd in die Flammen. Ole hatte die Arme um die Knie geschlungen und wiegte sich hin und her.
Jonas war fürchterlich unruhig. Seine Geschichte hatte so unwahrscheinlich geklungen – er wusste kein besseres Wort. Und doch war Ruben in echter Not.
»Ich verstehe es nicht«, murmelte Lunette endlich. »Ich kann es nicht begreifen.« Er schüttelte den Kopf. »Und es hilft uns einstweilen auch nicht weiter. Oder?« Lunette streckte seine Hand aus und fasste Jonas’ Arm. »Hör zu«, sagte er. »Wir können den Prozess gegen deinen Freund jetzt nicht mehr verhindern. Aber wir können noch hoffen, dass die Kaiserin ihm nicht wirklich an den Kragen will. Vielleicht hat all das, was in …« Er zögerte einen Moment »… in Wunderlich geschehen ist, hier gar keine so große Bedeutung.«
Jonas biss sich auf die Lippen. Dann schüttelte er verzweifelt den Kopf. Es hatte eine Bedeutung. Lunette konnte es
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