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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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völlig unwahrscheinlich vor – er hatte sogar in Betracht gezogen zu träumen. Doch die Last der Beweise, dass er nicht schlief, war leider überwältigend. Zurzeit blieb deshalb nur eine einzige vernünftige Schlussfolgerung – Jonas Nichts war in großer Gefahr, in größerer noch als in Wunderlich, und er, Peregrin Aber, musste den Jungen aus dieser Gefahr befreien. Die Klarheit dieses Gedankens gab ihm Auftrieb.
    »Reichen Sie mir meinen Stock, Tabbi!«, stöhnte er und deutete tiefer in den Wald. »Da entlang, würde ich sagen.«
    Von weitem hätte man Peregrin Aber, wie er tief gebeugt an Tabbis Arm durch den Wald stolperte, für einen Tattergreis halten müssen. Nur sehr, sehr langsam kam er vorwärts, mühsam, Schritt für Schritt. Es war nicht sein erster Hexenschuss – nur ungern erinnerte er sich daran, wie der schmalbrüstige Werk ihn einmal krumm und schief aus dem voll besetzten Gerichtssaal hatte tragen müssen –, aber es war bestimmt sein schlimmster. Unablässig murmelte Peregrin Aber Flüche, auch darin einem übellaunigen Greis nicht unähnlich.
    Außerdem schien Tabbi keinen Funken Mitleid zu haben. Unbarmherzig trieb sie ihn an, und als er sich unter Schmerzenslauten einmal erschöpft auf einem umgestürzten Baumstamm niederließ – »O! Aaa! Iii! Eee! U!« –, tappte sie so lange ungeduldig mit dem Fuß, bis ihm die verdiente Rast gründlich verdorben war.
    »Ich mach ja schon, Tabbi! Ich mach ja schon!« Er war ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, Peregrin Aber wusste es wohl. Er machte sich keine Illusionen. Nie.
    Als sie schließlich einen Hang hinunterstolperten, lag die Tortur vieler Stunden hinter ihm. Tabbi hatte, von weitem schon, einen See ausgemacht, einen Fleck glitzernden blauen Wassers, dessen Anblick sogar den vom Schmerz ganz ausgelaugten und durstigen Peregrin Aber hatte trösten können. Wenn auch nur für ein paar Augenblicke.
    Es ging ja nun – man stelle sich vor! – bergab. Mit einem Hexenschuss !
    »Ooooo! Aaaaa! Ooooo!«
    Dann geriet der Advokat tragischerweise aus dem Gleichgewicht. Kopfüber stürzte er den Hügel hinab, er hörte Tabbi noch rufen.
    »Herr Doktor!«
    Zu antworten fehlten ihm Kraft und Gelegenheit. Er schmeckte Erde, Grasbüschel peitschten ihm die Wangen, sein Rücken fühlte sich an, als prasselte Steinschlag auf ihn nieder.
    Peregrin Aber rutschte und rutschte, bis ein Lattenzaun ihn stoppte. Dass es ein Lattenzaun war, darüber dachte der Advokat gar nicht nach. Denn jetzt tat ihm auch noch der Kopf weh, die Stirn brannte wie Feuer. Doch wenigstens lag sein unbeherrschbarer Körper endlich still. Peregrin Aber schloss die Augen.
    »Meine Güte! Sie Armer!«, sagte Tabbi.
    Ja! Peregrin Aber nickte stumm und schlug die Augen wieder auf.
    Machte sie wieder zu.
    Machte sie wieder auf.
    Der Rocksaum vor seiner Nase gehörte gar nicht Tabbi!
    »Haben Sie sich verletzt?« Die unbekannte Frau ging in die Hocke. Auf ihrem Kopf saß eine Haube, unter der lichtbraunes Haar hervorlugte, rund um ihre Nase drängten sich Sommersprossen. Die Frau sah ihn mitleidig an.
    »Peregrin Aber«, stöhnte Peregrin Aber der Form halber. »Advokat.« Er fügte das an, um sich einen Rest Würde zu bewahren.
    »Ich bin Tilla«, sagte die Frau.
    In diesem Augenblick kam Tabbi den Hügel heruntergestürmt. »Herr Doktor!«, rief sie. »Alles in Ordnung?«
    Peregrin Aber fand die Frage unangemessen. Es war ja nun mal überhaupt nichts in Ordnung. »Es geht schon«, sagte er leidend.
    »Er hat einen bösen Hexenschuss«, erklärte Tabbi der Frau. Dann wischte sie sich eine Hand ab, um Tillas zu schütteln. »Tabbi«, sagte sie. »Ich bin Köchin in Wunderlich.«
    Tilla begrüßte sie freundlich. »Wenn Sie wollen, können wir ihn reinschaffen«, sagte sie umstandslos. »So ein Hexenschuss ist eine üble Sache.«
    Peregrin Aber nickte unbeachtet. Er fühlte sich übergangen, aber verstanden. Durch eine Ritze zwischen den Zaunlatten erkannte er ein weißes Häuschen, davor ein Boot und Fischernetze.
    Im Haus duftete es nach Karamell. Peregrin Aber hatte das kleine Fischerdorf wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die gekalkten Hauswände, die reetgedeckten Dächer, die ausladende Eiche auf dem Dorfplatz, der lange Steg und die dort vertäuten Boote und ganz besonders das sanfte Plätschern des Sees hatten ihm sein Gefühl für die Ordnung der Dinge zurückgegeben. Er war nicht beruhigt und auch nicht schmerzfrei, als Tabbi und Tilla ihn über die Schwelle des kleinen

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