Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
sagte er dann. »Aber das macht keinen Unterschied.«
Nein? Jonas schwieg für einen Augenblick. »Weißt du, wo sie Ruben hinbringen?«, fragte er schließlich.
Ole schüttelte den Kopf. »Wir werden sehen.« Er hatte seinen Rhythmus gefunden. Mit kräftigen Schlägen trieb er das Boot voran. Er schien nichts anderes mehr im Sinn zu haben, als voranzukommen.
Jonas sah auf das Wasser hinaus. Dort drüben am Ufer hatten sie das Boot gestohlen, jetzt brachte es sie auf die andere Seite des Sees. Mit jedem Ruderschlag wurde das Trabantendorf kleiner. Jonas erkannte den Steg, über den sie geschlichen waren, die Eiche auf dem staubigen Platz. Einen Augenblick lang glaubte er sogar, dort Bewegung ausmachen zu können – eine Gruppe von Leuten, die auf das kleine Haus zuhielt. Er dachte an die Frau mit dem Besen. Er dachte an den Bauern mit der Karre. Wieder und wieder tauchten die Ruderblätter ins Wasser. Bald würde die Insel zwischen ihnen und dem Trabantendorf liegen.
Er hatte sie sich immer wieder vorgestellt – Tilla, Arne, Kolman und Bror, die doch gar nicht so hießen, weil sie ja gar nicht hießen. Sie hatten keine Namen. Ole hatte es gesagt.
Jonas spürte den aufkommenden Fahrtwind. Vielleicht, dachte er, schiebt Arne gerade seine rote Karre nach Haus.
Er tauchte eine Hand ins Wasser, die Finger wie ein Kiel, und dann fiel ihm der Wieflinger ein, der lange Schnurrbart und der breitkrempige Hut, und für einen flüchtigen Augenblick konnte Jonas im wirbelnden Spiegel des Sees den Räuber sehen, wie er über wüste, graue Felsen kletterte.
Beinahe erschrocken zog er die Hand zurück. Das Wasser perlte von seiner Haut. Wie um sich festzuhalten, sah er Ole zu hinüber, der sich mächtig in die Riemen legte. Tilla, Kolman, der Wieflinger … Jonas wusste Bescheid – es gab sie ja gar nicht.
Das 27. Kapitel
Trut
Das Boot dümpelte zwischen freigespülten Wurzeln am Ufer, sie würden es nicht mehr brauchen. Jonas spähte zur Fähre hinüber. Still lag sie da, ein ganzes Stück weit entfernt. Der Fährtrabant stand zusammengesunken im Schatten eines Baums. Jonas sah noch einmal zur Insel hinüber. Kanaria hockte da wie eine bittere, vergoldete Kröte.
»Trink.« Ole hatte eine Flasche aus seinen überraschenden Beständen gefördert und sie mit Seewasser gefüllt. Sie tranken beide und füllten die Flasche wieder auf. Vorsichtshalber machten sie einen großen Bogen um die Anlegestelle. Faramund hatte zwei, vielleicht drei Stunden Vorsprung. Ole hatte sich mächtig in die Riemen gelegt, aber der Weg um die Insel war weit gewesen. Einmal hatte Jonas die Kaserne zwischen den Bäumen aufblitzen sehen. Sie hatten Glück gehabt, dass die Soldaten nicht auf sie aufmerksam geworden waren.
Jonas schaute landeinwärts. »Weißt du überhaupt, in welche Richtung sie aufgebrochen sind?« Er stellte sich vor, wie Ruben hierhergegangen war, dort von der Anlegestelle das Ufer hinauf.
»Vielleicht.« Ole wiegte den Kopf. »Es geht nicht darum, sie einzuholen, klar? Wir bleiben ihnen auf den Fersen.« Er tat zwei schnelle Schritte und wandte Jonas den Rücken zu. Dann drehte er sich doch noch einmal um. »Mehr können wir erst mal nicht tun«, sagte er versöhnlich.
Bald machte die Seeluft einer sengenden Hitze Platz. Der einzige Weg weit und breit war wie zu Stein getrocknet. Staub lag in der Luft, klebrig und gelb, und Jonas war für jeden Baum am Wegesrand dankbar. Im Schatten ging es sich leichter, zumal die Gegend immer steiniger wurde. Dürres Gras und braunes Moos bedeckten vor Trockenheit bleiche Felsen, dazwischen Lehmbrocken, die die Sonne ziegelhart brannte.
Sie hatten Glück, auf einen Bach zu treffen. An seinem Ufer, im Schatten dicht gedrängter Laubbäume, wuchs fettes, weiches Moos, glasklar rann das Wasser durch sein helles Bett. Wieder füllten sie die Flasche auf und stahlen sich einen Augenblick, um die bloßen Füße ins Wasser baumeln zu lassen. Der Bach säuselte, ein Kuckuck rief, die Stimmung war seltsam friedlich. Jonas kam sie vor wie die Ruhe vor dem Sturm.
»Hast du eigentlich Streit mit deinem Onkel?«, fragte er. Auf dem Weg hatte er immer wieder an die Sieben denken müssen. Von Suleman Mond wusste er wenig.
»Kann man so sagen.« Ole hatte sich vorgebeugt und ließ das kühle Wasser über seine Handgelenke rinnen.
»Bist du fortgelaufen?«
»Suleman hat mir nichts zu sagen.« Ole fuhr sich mit den nassen Händen durch das kupferrote Haar, bis dessen Spitzen senkrecht nach oben
Weitere Kostenlose Bücher