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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Freund
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nicht auf die einladende Art. Eher sahen sie wie eine Falle aus, die nur darauf wartete, zuzuschnappen.
    Als sie den Torbogen durchquerten, hielt Jonas die Luft an. Doch nichts geschah. Sie waren zwei Jünger Faramunds, die heimkehrten – ganz so, wie es Ole gesagt hatte.
    Vorsichtig hielt Jonas Ausschau. Sie befanden sich auf einer breiten, beiderseits von Bäumen umstandenen, wie leergefegten Straße. Die Bäume jedoch waren sonderbar. Nackt und steif standen sie da und trugen nicht ein Blatt. Durch das Gewirr der Äste und Zweige konnte Jonas die Giebelfassaden der großen Häuser erkennen, die beide Seiten der Allee säumten.
    Ole begann zu flüstern. »Wir nennen es die tote Allee«, raunte er. »Callamaars alte Prachtstraße. Hast du die Bäume gesehen?«
    Jonas nickte stumm. Er verstand. Die Bäume waren tot. An ihnen entlang blickte er die Straße hinauf – ein schnurgerader Weg, eingerahmt vom grauen Gewölle der gestorbenen Zweige und Äste.
    »Rechts!«, zischte Ole.
    Unmittelbar senkte Jonas den Kopf, und dann waren sie auch schon zwischen den toten Bäumen hindurch, plötzlich ganz nah an den großen Häusern dahinter, die kaum lebendiger wirkten. Aus blinden Höhlen starrten sie Jonas an, die Fenster mit schäbigen Brettern vernagelt oder leer. Bloße schwarze Löcher, Stockwerk für Stockwerk. Der Putz bröckelte von den Mauern, jede Fassade war von derselben lehmbraunen Schmiere überzogen, und da und dort wurde eine Hauswand von einem Pfeiler gestützt, der selbst schon wieder so aussah, als würde er gleich einknicken. Dann, stellte Jonas sich vor, würde die Fassade fallen wie ein Baum und eine Wolke aus Schutt stiege auf. Weiter stadteinwärts wies die Häuserzeile schon Lücken auf – als hätte ein riesenhafter Maulwurf sie umgegraben und statt Erdhügeln Trümmerberge hinterlassen.
    Bald darauf passierten sie ein Haus ohne Tür, der Eingang wie eingeschlagene Zähne. Aus der Finsternis des Korridors schlug Jonas eine Luft wie Regenwetter entgegen – trotz der Hitze draußen feucht und kalt.
    Sie bogen in eine schmale Gasse ein, die sich unvermittelt zwischen zwei der großen Häuser auftat. Wie ein Tunnel kam sie Jonas vor, im Hohlraum zwischen den fensterlosen Wänden hallten ihre Schritte. Dann wand sich die Gasse wie ein Fluss, und von einem Augenblick auf den anderen fand sich Jonas in eben dem Gewirr von Häusern und Gassen wieder, das er nur Stunden zuvor von den Bergen aus gesehen hatte. So dicht gedrängt standen die Häuser hier, dass es schien, als müssten sie sich gegenseitig stützen. Und wieder waren alle Fenster tot und leer oder verrammelt. Kein Lebenszeichen weit und breit, nur blanke Pflastersteine, morsches Holz und brüchiges Mauerwerk, alles verwahrlost und verlassen.
    »Gib Acht«, raunte Ole, aber es dauerte einen angsterfüllten Moment, bis Jonas das Auge gefunden hatte. Es saß tief in einem Türpfosten, schwarz und blank. Das gemaserte Lid zuckte.
    »Weiter«, flüsterte Ole heiser.
    Jonas’ Herz stolperte, als sie das Auge passierten. Zwei Jünger Faramunds – hoffentlich war es wirklich das, was es sah.
    Sie folgten den gewundenen Gassen, Ole schien zu wissen, wohin. Meist war es bis auf ihre eigenen Schritte totenstill, nur dann und wann schienen die Häuser selbst zu seufzen.
    Sie waren bereits tief im Innern des alten Callamaar, als sie den Fängge sahen. Groß und bärtig, die nackten Arme dicht behaart, huschte er vor ihnen über die Gasse, die schmutzig grüne Kleidung in Fetzen. Wie, um sich zu verstecken, wandte Jonas sich ab, der Blick des Fängge aber traf ihn doch – in den großen, dunklen Augen stand die nackte Angst. Dann war er schon verschwunden, in einer winzigen Gasse zwischen den Hauswänden oder durch eine eingeschlagene Tür. Jonas brauchte einen Moment, um zu verstehen. Der Fängge floh. Er hielt sie für Jünger Faramunds.
    Ole schien sich erst zu versichern, dass kein Auge des Hirten ihm zusah, dann legte er Jonas eine Hand auf den Arm. »Sie sind hier überall. Fängge, Faune, Alben, Monokel.« Er fasste nach seinem Ohrring. »Ich habe einmal gesehen, wie die Jünger Faramunds kamen und in ein Haus eingedrungen sind. Du weißt nie, wann sie kommen oder warum. Sie schlagen die Türen ein, durchsuchen das ganze Haus. Und dann zerren sie alle, die sie finden können, auf die Gasse hinaus. Meistens bringen sie sie dann in den Steinbruch.«
    »Wie Trut.«
    Ole nickte. »Niemand kann sich hier sicher fühlen. Nicht mal die Alben.«
    Jonas

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