Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
mit einer völlig verdreckten Schürze über der Livree. Peregrin Aber war plötzlich zum Weinen zumute. Wie Wellen schlugen die Ereignisse über ihm zusammen. Ein Verrückter folgte auf den nächsten.
»Darf ich mich vorstellen?« Der eben angekommene Alte deutete eine Verbeugung an. »Ich bin der Marquis de Lunette.«
»Lunette!?« Peregrin Abers Gefühle kippten anlässlich dieses Namens gleich ins andere Extrem. »Warten Sie, ich habe da ein … ein Empfehlungsschreiben.« Er lächelte beinahe glücklich. »Das wird Klarheit schaffen, nehme ich an.« Er fischte den vermaledeiten Wisch aus seiner Rocktasche. Das verdächtige Wieflinger-Schreiben. »Schauen Sie!« Er hielt es dem Marquis hin.
Lunette überflog den Brief. »Wissen Sie, wer dieser Wieflinger ist?«, fragte er dann.
Peregrin Aber blieb nur, den Kopf zu schütteln.
»Hm.« Lunette gab ihm den Brief zurück. »Sie sind Peregrin Aber, der Advokat, nehme ich an. Und Sie«, er wandte sich Tabbi zu, »die Köchin Tabbi. Ich habe Sie in gewisser Weise erwartet. Jonas hat mir von Ihnen erzählt.«
Tabbi entfuhr ein Schrei der Erleichterung. »Sie haben ihn gesehen?«
»Gesehen und gesprochen. Gestern zuletzt. Da ging es ihm gut. Den Umständen entsprechend, sollte ich vielleicht einschränken«, fügte der Marquis an.
»Was für Umständen?« Von so vielerlei Gefühlen in Unruhe versetzt, versuchte Peregrin Aber, sich aus der Karre zu winden. Der starke Kolman kam ihm zu Hilfe. Schließlich stand Peregrin Aber vor dem Marquis – krumm und schief zwar, aber immerhin.
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte Lunette. »Zu lang vielleicht.« Er wandte sich um und starrte in die Dämmerung. »Ich befürchte«, fuhr er dann fort, »wir alle sind in Gefahr. Ich kann das jetzt nicht alles ausbreiten. Aber hier im Schloss herrschte zuletzt großer Aufruhr. Es hat einen Prozess gegeben.«
Peregrin Aber nickte, als wüsste er Bescheid. Dass hier Prozesse geführt wurden, hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Prozesse waren ihm vertraut.
»Und auch sonst ist nichts mehr, wie es früher war«, sagte Lunette mit Verschwörermiene. »Überall sind Wachposten versteckt. Soldaten aus der Kaserne. Man behält das Ufer im Auge. Jonas’ Erscheinen hier hat dazu geführt, dass – wie soll ich sagen? Es hat dazu geführt, dass jemand offenbar mit Ihrem Erscheinen rechnet. Baronin Alma Fink zu Wunderlich – der Name sagt Ihnen doch etwas?«
»Natürlich!« Peregrin Aber stand so aufrecht es eben ging. Alma!, durchzuckte es ihn. »Ich habe …« Eigentlich hatte er anführen wollen, dass er Alma nur allzu gut kannte und obendrein lange Jahre ihr bescheidenes Vermögen verwaltet hatte, aber er brach ab. Die Zeit drängte. »Worauf wollen Sie hinaus, Marquis?«
Lunette warf einmal mehr einen nervösen Blick den Weg hinauf. »Ich weiß von dem Schrank im Spielzimmer«, sagte er leise. »Wir hier kennen Ihre Alma allerdings als Kaiserin. Als mächtige, gefährliche Kaiserin.«
Peregrin Aber sammelte noch seine Gedanken, als Leopold, der bislang schweigend zugehört hatte, sich zu Wort meldete. »Augenblick, Lunette!«, rief er. »Habe ich das richtig verstanden? Sie ist anderswo gar keine Kaiserin, sondern eine schäbige Baronin ? Sie ist …«, seine Stimme schraubte sich hinauf, »… eine Hochstaplerin ?« Er stampfte mit dem Stiefel auf. »Oh, ich habe es geahnt! Oh, ich werde grob und wild!«
»Langsam, Eure erbliche Majestät, langsam!« Der Marquis machte eine beschwichtigende Handbewegung.
»Was?«, kreischte Leopold. »Langsam? Oh nein!« Er hob noch einmal die Stimme. »Wir werden sie absetzen! Absetzen! Lang lebe der König!« Er reckte die Faust.
Tabbi, ihn gar nicht weiter beachtend, drängte sich vor und legte Lunette eine Hand auf den Arm. »Wo ist Jonas, Herr Marquis? Sagen Sie es uns! Mein Gott! Er ist doch noch ein kleiner Junge! Er ist doch erst zwölf!«
Plötzlich war der Marquis wie erstarrt. » Zwölf , sagen Sie? Sind Sie sicher?«
»Das tut doch jetzt nichts zur Sache!«, stöhnte Peregrin Aber, dem das alles zu viel war, viel zu viel. »Wo steckt der Junge jetzt? So reden Sie doch endlich!«
»Zwölf Jahre«, sagte der Marquis noch einmal wie zu sich selbst. »Zwölf.« Er sah wieder den Weg hinauf. »Verdammt!«, zischte er dann. »Zu spät!«
Peregrin Aber fuhr herum, der Schmerz in seinem Kreuz holte ihn fast von den Füßen. Lichterschein auf dem Weg, eilige Stiefelschritte, Säbelrasseln.
»Fort!«, rief der Marquis mit
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