Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
und folgte den beiden durch die offene Tür. Der Raum nebenan war völlig leer, bloß häufchenweise Schutt und Staub auf dem nackten Boden. Die Wände waren bis auf ein paar nutzlose Haken kahl, das einzige Fenster ging auf einen verwaisten Hinterhof hinaus.
Fiet Finger schlug seine Kapuze zurück und Jonas erschrak. Fiet hatte die feinen, weichen Züge eines Jungen, dem noch lange kein Bart wachsen würde, nur war sein Haar grau und sein Gesicht war so ernst und wettergegerbt, wie das eines Kindes nie sein würde. Fiet Finger war im Körper eines Jungen erwachsen geworden. Er war zwölf Jahre alt und fünfzig zugleich.
»Wäre das nicht sanfter gegangen?« Ole rieb sich den Ellbogen.
Fiet Finger schüttelte den grauen Kopf und schloss dann die Tür. »Zu viele Augen jetzt«, sagte er dann. »Sie wuchern wie Unkraut mittlerweile. Und auch so schnell. Du weißt nie, wo das nächste plötzlich auftaucht. Und ich wollte dem Hirten keinen Blick auf uns drei gönnen. Drei Jünger im Gespräch, das hätte seinen Verdacht geweckt.« Fiet musterte Ole. »Geht’s dir gut, Junge?« Er legte ihm einen Arm auf die Schulter. »Länger nicht gesehen. Hm?«
Ole entzog sich ihm, machte ein paar Schritte und begutachtete den kahlen Raum. »Ist die Luft hier denn rein?«
»Für den Moment schon.« Fiet Finger schob die Ärmel seiner Kutte hoch. Seine Arme waren dünn wie die eines Jungen, aber ziemlich behaart. »Und du«, sagte er dann zu Jonas, »bist Jonas Nichts.« Das klang nicht wie eine Frage.
Jonas nickte, einigermaßen überrascht. »Woher wissen Sie das?«
Fiet Finger grinste. »Ich habe so meine Quellen.« Dann verschwanden seine tiefen Grübchen wieder. »Im Ernst. Die Flüsterer flüstern von dir.«
»Wer?«, fragte Jonas.
»Die Leute in der Stadt«, mischte sich Ole ungnädig ein.
»Ihr wart bei Trut, nicht wahr?« Fiet rieb sich die Hände, als wäre ihm kalt. »Mir ist so was zu Ohren gekommen.«
Ole nickte.
Fiet starrte Jonas jetzt unverwandt an. »Es sind mehr Augen in der Stadt, seit ein gewisser Jonas Nichts gesucht wird. Die Jünger haben gestern ein paar Häuser durchkämmt. Auch Lunettes Turm. Dass sie dich suchen, ist ein offenes Geheimnis, Jonas.«
Jonas schluckte schwer. Die Wände des Raums schienen näher zu rücken. Warum suchten sie ihn? Warum hier? Und warum machten sie so eine große Sache daraus? Er sah zu Ole hinüber, aber Ole erwiderte den Blick nicht.
»Ich habe nicht geglaubt, dass ihr wirklich kommen würdet«, sagte Fiet. »Ihr wagt euch in die Höhle des Löwen. Ist euch das klar?«
Jonas nickte schwach, auch wenn ihm das so klar vielleicht gar nicht gewesen war. Es fühlte sich an, als wäre alles Blut aus seinem Gesicht gewichen.
»Wir sind wegen Ruben hier, Jonas’ Freund. Faramund hat ihn aus Kanaria entführt«, sagte Ole kühl.
»Ich weiß.«
»Ist Ruben hier?«
Fiet nickte. »Im Kloster. Seit gestern Nacht. Faramund muss es verdammt eilig gehabt haben, ihn herzubringen. Spannend, dieser Ruben.«
»Wir wollen ihn befreien«, sagte Ole. »Lunette sagt, er ist kriegswichtig.«
»Kriegswichtig.« Fiet Finger blies die Backen auf. »Mag sein.« Seine farblosen Lippen wurden schmal. »Aber damit wir uns richtig verstehen, Ole – du befreist hier überhaupt niemanden. Ich war in der Ferne. Ich habe mit Suleman gesprochen. Dein Ausflug war lang. Und jetzt ist er zu Ende.«
Ole wurde dunkelrot im Gesicht.
Jonas sah den beiden verwundert zu. Es mochte die Wut sein, die Ole das Blut ins Gesicht trieb. Oder es war die Scham. Fiet behandelte ihn wie einen kleinen Jungen.
Ole machte den Mund auf.
Doch Fiet Finger ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. »Widerspruch ist zwecklos, Ole Mond«, sagte er. »Du spukst lange genug durch das Land. Suleman und ich sind uns einig. Wenn wir hier fertig sind, geht’s ab nach Hause. Kapiert?«
Ole verbiss sich seine Bemerkung. Er schwieg verbiestert.
Jonas sah betreten zu Boden. Lieber hätte er dieses Gespräch nicht gehört. Ole war eingefangen worden. Der selbstbestimmte Wanderer , der sich angeblich von niemandem etwas sagen ließ, hatte seinen Meister gefunden.
Als sie das leere Haus verließen, brütete Ole immer noch stumm vor sich hin, Fiet Finger behielt ihn stets im Auge. Sie hatten die Kapuzen übergezogen und waren dann zum Fenster hinausgeklettert. Fiet Finger bewegte sich mit großer Sicherheit, schnell, aber so aufmerksam, dass Jonas das Gefühl hatte, Fiet könne überhaupt nichts entgehen.
Sie überquerten den Hof,
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