Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
dichte, schwarz glänzende Haar schwungvoll in die Stirn. »Ich mag Schnee«, sagte er dann, wieder aufsehend. »Schnee wärmt mir das Herz, weil er alles ringsum in ein Märchen verwandelt!« Die Pelzmütze in der Hand, machte er eine ausladende Handbewegung. Dann stieg er mit seinen langen Beinen aus dem Schlitten und ging auf den Advokaten zu. »Wie die sieben Zwerge!«, sagte er und lächelte. »Und ich – ah ja! – ich bin euer Schneewittchen!«
Der Erbprinz Leopold! Vielleicht, dämmerte es Peregrin Aber, war an der Geschichte des Gelben vom Steg ja etwas dran. Vielleicht gab es wirklich eine Kaiserin auf der Insel. Außerdem, sahen diese kissenbewehrten Diener dem Gelben – und Kolman und Bror und Arne und Tilla – nicht wiederum grässlich ähnlich?
»Und?«, sagte der Prinz und sah auf den Advokaten herab. »Was führt Ihn in mein Märchenreich?«
Peregrin Aber verrenkte sich beinahe den Hals, um mit einem Blick Hilfe bei Tabbi zu suchen. Aber die steile Stirnfalte der Köchin sah mittlerweile gefährlich nach einer Kerbe aus, und so beschloss er, selbst das Wort zu ergreifen. Er räusperte sich umständlich. »Wir, verehrter Prinz, suchen einen Jungen«, begann er. »Jonas Nichts heißt er.«
»Nein!« Leopold klatschte vor Überraschung in die Hände. »Jonas Nichts? Oh!« Dann trübte sich sein Blick. »Was für eine herzzerreißende, traurige Geschichte!«
Peregrin Aber bekam einen gehörigen Schreck. »Traurig?«, entfuhr es ihm. »Inwiefern?«
»Ach!« Leopold drückte sich die Mütze an die Wange und schmiegte sich in den Pelz. »Der Vater schwindsüchtig! Die Mutter weint bittere Tränen! Das kleine Schwesterchen hungert!« Er hob wieder den Kopf und plötzlich funkelten seine Augen. »Rührend, nicht wahr?«
Peregrin Aber war maßlos erleichtert. »Werter Prinz!«, erklärte er. »Da muss eine Verwechslung vorliegen. Jonas Nichts hat keine Schwester. Und von Vater und Mutter ist auch nichts bekannt. Ich, Hoheit, bin sein Vormund. Aber lautet mein Name, wie schon gesagt. Ich bin, ich wies bereits darauf hin, von Beruf Advokat.«
»So?« Leopold wirkte irgendwie enttäuscht. »Na ja, dann ist die Geschichte eben gut ausgegangen. Der Junge ist gut untergebracht, alle sind glücklich und so fort. Obwohl …« Er brach ab und fuhr sich durchs Haar. »Nein!«, sagte er dann bestimmt. »Die Geschichte ist nicht gut ausgegangen. Denn Er sucht den Jungen ja noch. Und!« Er hob den schlanken, langen Zeigefinger. »Er ist nicht allein damit.« Leopold beugte sich vor und Peregrin Aber roch Parfüm. »Ich muss Ihm etwas anvertrauen.«
»Ja?«, flüsterte der Advokat, restlos verunsichert.
»Nein!« Der Erbprinz fuhr zurück und drehte sich unversehens zu seinen Dienern um. »Ihr da!«, rief er. »Seht zu, dass ihr ins Schloss zurückkommt. Und nehmt den Schlitten mit! Und das hier!« Er warf ihnen die Mütze zu und schälte sich aus seinem Mantel, den er gleich hinterherwarf. Darunter trug er einen blauen Uniformrock, weiße Reithosen und gewichste Schaftstiefel. »Die Luft ist lau!«, herrschte Leopold seine Diener an. »Merkt ihr das denn nicht? Ich brauche keinen Mantel. Außerdem erregt ihr mein Missfallen! Meine Empörung! Schert euch!«
Verdattert zogen die Diener ab, und der Erbprinz wartete, bis der Schlitten um die Wegbiegung verschwunden war und die Schellen langsam verklangen.
»Hör Er!«, sagte er dann in verschwörerischem Ton. »Sie alle sollen zuhören, wenn sie diesen Jungen finden wollen. Der Hirte will ihn einfangen, dieser grässliche Mensch! Und die … die … – ach, was soll’s – die Kaiserin hätte ihn wohl auch gern. Sie hat getobt nach dem Prozess! Sie hat diesen Jungen zur Hölle gewünscht! Aber …«, er beugte sich noch näher heran, »ich glaube nicht, dass sie seiner habhaft werden konnte. Oh nein! Ich glaube nicht.«
Peregrin Aber rang nach Fassung. Er konnte nicht verstehen! Was um Himmels willen ging hier vor? Was für ein Hirte? Und was für ein Prozess ? »Sind Sie sicher, Prinz, dass wir vom selben Jungen reden?«, stieß er hervor.
»Durchaus, ja.«
Die Antwort kam unerwartet, nämlich von der falschen Seite.
»Sie beide reden von demselben Jungen.«
Peregrin Aber spürte einen schmerzhaften Stich, als er sich nach der neuen Stimme umdrehte. Ein offensichtlich geschminkter alter Mann mit Perücke und einer gewagten rosafarbenen Schärpe drängte sich in ihren kleinen Kreis auf der Allee, unmittelbar hinter ihm folgte ein weiterer Diener, dieser
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