Die unwillige Braut (German Edition)
dargestellten Geschöpfe so lebendig wie an dem Tag, an dem sie gemalt wurden. Abgesehen von den gewellten Seiten und den aufgeweichten Ecken des Leders war der Schaden minimal. "Das ist ein Juwel", sagte Jude. "Wie seid Ihr daran gekommen?"
Als Rhoese schwieg, drehte er sich zu ihr um. Dabei bemerkte er gleich den rebellischen Zug um ihren Mund und die roten Flecken auf ihren Wangen. Er nahm ihre Hand. "Rhoese", sagte er. "Flambard glaubt, es gehört mir. Ich sagte ihm das, Ihr erinnert Euch? Er versteht nicht, warum ich es ihm noch nicht gezeigt habe, deshalb, so vermute ich, bat er Euch darum. Er glaubt, ich bringe es nach Durham zu meinem Cousin, und der wird von mir eine Erklärung hören wollen, wie ich daran gekommen bin. Flambard wird zweifellos darauf bestehen, auch dort zu sein, und es wird ein wenig seltsam wirken, wenn ich ihnen nichts darüber erzählen kann, oder?"
"Überhaupt nicht. Ohne zu lügen könnt Ihr ihnen sagen, dass Ihr jetzt alles besitzt, was einst Eurem angelsächsischen Weib gehörte, und dass Ihr noch nicht die Zeit hattet, alles zu zählen. Oder, wie in diesem Fall, es anzuschauen."
"Sehr richtig." Jude seufzte. "Es gibt noch etwas, das mir gehört und das ich bisher noch nicht richtig angeschaut habe. Vielen Dank, dass Ihr mich daran erinnert habt." Er schloss das Buch und legte es auf die Truhe. Dann stand er auf und nahm ihre Hand. "Wollen wir?"
"Nein!"
"Ihr sagt wohl Nein zu allem, was? Habt Ihr mir nicht kürzlich erst Gehorsam gelobt?"
"Unter Zwang."
"Dann soll es so sein, wie ich vermute." Er zog noch einmal an ihrer Hand.
"Nein, nein! Ich zeige Euch das Buch, und dann könnt Ihr gehen."
"Wohin?"
"Zur Hölle!" murmelte sie. "Was wollt Ihr wissen?"
In jeder Hinsicht erzählte sie ihm dasselbe wie Eric, und die Geschichte war nicht lang, während Jude reglos dasaß, ohne sie zu unterbrechen, sie nur ein oder zweimal ansah, wenn sie bei der Erwähnung ihres Vaters ins Stocken geriet.
"Nonnen?" sagte Jude schließlich und betrachtete eingehend eine Seite mit feinsten Zeichnungen. "Glaubt Ihr wirklich, dass die Nonnen in Barking so etwas gemacht haben könnten?"
Rhoese versuchte, sich ihre Begeisterung nicht anmerken zu lassen. "Barking Abbey stand schon immer in dem Ruf, dass man dort sehr gelehrt war. Ich weiß nicht, wie die Gemeinschaft im Augenblick ist, denn Barking liegt näher bei London als bei York und ich habe keinen Kontakt dorthin, aber ein Bischof von London hat die Abtei für seine Schwester gegründet, und die vornehmsten und reichsten Damen fühlten sich dorthin gezogen. Sie hielten schon immer enge Verbindungen zu Abteien auf dem Kontinent und zum Königshof. Vielleicht hat William der Normanne deshalb …"
"König William", korrigierte Jude sie leise.
"Ja, vielleicht ist er deswegen hier geblieben nach der Invasion. Ich weiß nicht, was seinerzeit noch geraubt wurde, aber die Äbtissin war sehr erpicht darauf, dies hier zurückzubekommen. Es ist ein Wunder, dass es nur nach Norwegen und nicht in die Normandie gelangte. Was aber geschehen wird, so vermute ich, wenn Ihr zulasst, dass Erzbischof Thomas davon erfährt."
"Ihr glaubt, er wird es behalten und es nicht zurückgeben?"
"Würdet Ihr das tun?"
"Wenn es wirklich dorthin gehört, würde ich es vermutlich der Abtei zurückgeben. Ich bin nicht völlig skrupellos, Mylady. Trotz allem, was Ihr von mir glaubt. Aber woher wisst Ihr, dass es wirklich dasselbe Buch ist?"
"Mein Vater schien dessen ziemlich sicher zu sein." Sie nahm ihm das Buch ab und drehte es behutsam um. "Hier ist etwas, da könnt Ihr sehen, dass dem Text ein Glossar hinzugefügt wurde."
"Ein was?"
"Ein Glossar, also ein Kommentar oder eine Übersetzung. Es steht zwischen den Zeilen und ist in einer kleineren Schrift eingefügt worden, seht, und auf Englisch, so dass Ihr es nicht lesen könnt, genauso wenig wie Euer Cousin in Durham. Wenn Ihr genauer hinseht", sie zeigte darauf, "könnt Ihr das Wort abodisse erkennen, was Äbtissin bedeutet, gefolgt von Baercinge, was darauf hindeutet, dass das Buch möglicherweise wirklich von einer früheren Äbtissin gefertigt wurde. Einige von ihnen waren Schreibkundige und Künstlerinnen, genau wie die Männer."
"Könnt Ihr den Rest des Textes lesen?"
"Möglicherweise. Es ist sehr klein geschrieben, daher habe ich es nie versucht."
"Wer lehrte Euch das Lesen?"
"Unser Geistlicher, der vor Bruder Alaric bei uns lebte. Mein Vater sagte, einer von uns sollte es können, und da Eric nicht
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