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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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und einer mit einem rosa Pflaster geklebten dicken Brille und schaufelte die trockenen Blätter aus dem Becken. Er bemerkte mich, hielt in seiner Arbeit inne, stützte sich auf den Spatenstiel und strich sich mit der rechten Hand über die Stirn. Ich sah, dass ihm der Zeigefinger fehlte.
    »Grüß Gott, Frau Doktor!«, sagte er.
    »Was machen Sie denn hier? Wer hat Ihnen das angeschafft?«
    »Die alte Frau Fux. Die Blätter müssen verbrannt werden.«
    »Wer sind Sie überhaupt? Ich kenne Sie nicht.«
    Er griff nach einer Flasche Bier, die auf dem Rand des Bassins stand, und trank einen Schluck. Dann hielt er mir die Flasche hin. Ich schüttelte den Kopf.
    »Aber ich dich«, sagte er dann. »Du bist die Sissi. Wir sind miteinander in die Volksschule gegangen. Ich darf doch du sagen?«
    Ich ignorierte die Frage.
    »Ich kann mich nicht erinnern.«
    »Ich schon.« Er maß mich mit einem unverfrorenen Blick von oben bis unten. »Groß bist du geworden, ganz schön lang. In letzter Zeit habe ich dich ein paarmal bei der Mühle gesehen.« Er grinste anzüglich. »Mit einer Frau. Ich wohne auch im Graben.«
    »Dann sind Sie der Forstgehilfe?«
    Er nickte.
    »Genau. Meinen Bruder kennst du ja. Jag ihn einfach weg, wenn er dir lästig wird. Er hat als Kind eine schwere Hirnhautentzündung gehabt. Eine Infektion. Seither kann er nicht mehr richtig reden.« Er lachte. Es schien ihn nicht zu stören, dass ich ihn weiter in der Höflichkeitsform ansprach. »Und er ist auch sonst ein bisschen wunderlich. Aber du brauchst dich nicht vor ihm zu fürchten. Er mag dich.«
    Er nahm den Spaten wieder in die Hand und fuhr in seiner Verrichtung fort.
    »Deine Großeltern haben manchmal Arbeit für mich«, sagte er. »Das ist gut, ich brauche das Geld.« Er deutete mit dem Kinn auf das Gebäude. »Aber hier bin ich nicht gern.«
    »Warum nicht?«
    »Weil die Ausländerin im Haus umgeht. Die Hexe.«
    Typisch. Diese Dorfidioten.
    »Seien Sie vorsichtig mit Ihren Behauptungen. Meine Mutter ist keine Hexe. Und sie lebt in Brasilien.«
    Der Mann sah mich spöttisch an. Eine Spur von Verachtung lag in seinem Blick. Auch wenn ich hier aufgewachsen war, auch wenn ich Ärztin war, ich war eine Frau und ein Bastard und hatte im Grunde nichts an diesem Ort zu suchen.
    »Kann schon sein, aber sie geht hier um. Ohne Kopf, mit einem Fisch in der Hand. Sie seufzt und stöhnt und weint und redet ununterbrochen. Kein Mensch versteht das Kauderwelsch. Bei Vollmond kommt sie aus dem Haus, legt sich in die Hängematte und schaukelt hin und her. Der Binder, unser Gendarm, hat sie gesehen. Seitdem zuckt sein linkes Augenlid ununterbrochen. Der Pfarrer hat schon zweimal alles mit Weihwasser besprengt und mit Weihrauch ausgeräuchert, aber es hat nichts genützt. Niemand kauft das Haus.« Er lachte laut und schüttelte den Kopf. »Deine Großeltern möchten es seit Jahren loswerden, aber keiner will es.«
    »Unsinn!«, sagte ich. »Das ist dummer Aberglaube.«
    »Kein Aberglaube«, sagte der Forstgehilfe. »Und nicht dumm. So etwas gibt es.«
    »Meine Mutter lebt in Brasilien«, hatte ich gesagt. Tatsache war, dass ich das vermutete, aber nicht genau wusste. Sobald ich schreiben konnte, und das war früh, schickte ich Zeichnungen und Briefe an die Adresse, die wir von ihr hatten. Sie kamen alle zurück. Ob nicht angenommen oder unzustellbar, ließ sich nicht exakt feststellen. Ich schrieb trotzdem weiter, jahrelang.
    »Hör endlich auf damit«, sagte meine Großmutter. »Du siehst doch, dass es keinen Sinn hat. Sie hat euch vergessen, dich und Caspar. Du brauchst ihr keine Träne nachzuweinen, das ist sie nicht wert. Sorgen wir vielleicht nicht gut für dich? Sicher hat Olinda inzwischen eine reiche Erdkröte geheiratet, so wie ihre Mutter. Obwohl sie von Rechts wegen ja noch mit deinem Vater verheiratet ist. Eine Bigamistin und Ehebrecherin, deine Mutter, nichts anderes.« Sie lächelte, und ihre schwarzen Hexenaugen leuchteten. »Das ewige Höllenfeuer ist ihr sicher.«
    Irgendwann gab ich auf.
    Aus den Kronen einiger hoher italienischer Pappeln, die die Staubstraße säumten, welche zum alten Winzerhaus führte, waren dicke Äste gebrochen, zum Teil befanden sie sich zersägt im Gras darunter. Auf der Fahrbahn lagen verstreut kleine Äste, Zweige und Laubwerk. Seit meinem letzten Besuch musste es einen Sturm gegeben haben. Der an seinem Wipfel rot verfärbte Spitzahorn neben dem niedrigen Gebäude, das er um viele Meter überragte, war von weitem zu sehen. Das

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