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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Schrift Pensione Paradiso stand, und betrat einen schmalen, schlecht gepflasterten Weg, der kerzengerade durch einen verwilderten Garten führte und an dessen Ende man das Meer sah. Die Pension, ein großes altes, einladend wirkendes Haus, lag gleich zur Linken, auch das Haustor war nur angelehnt, und aus dem Spalt drangen stockend die melancholischen Klänge eines Akkordeons. Ich stieß das Tor auf und überschritt die Schwelle. Der Spieler saß hinter der Rezeption, ein gebrechlich wirkender alter Mann in weißem Hemd und schwarzer, ärmelloser Weste. Als ich eintrat, schob er das Instrument, das einen Misston von sich gab, wie einen Blasebalg zusammen, nahm die Gurten von den Schultern und stellte es auf einen Stuhl.
    »Guten Tag – Sie wünschen?«
    »Schön, die Musik!«
    »Ach, Sie müssen entschuldigen, Sie müssen entschuldigen«, sagte der alte Mann, »aber im November ist nicht viel zu tun, da spiele ich ab und zu ein bisschen, zum Zeitvertreib.« Er blickte sich vorsichtig um und senkte die Stimme. »Das heißt, wenn die Chefin nicht in der Nähe ist. Das Akkordeon ist noch von meinem Vater, eine Victoria. Galliano spielt auf einer Victoria, Frank Marocco auch.« Die Namen sagten mir nichts. Seine dünnen lila Lippen verzogen sich zu einem schüchternen Lächeln. Auf seinem vorspringenden Kinn prangte eine große Warze, aus der ein langes weißes Haar spross.
    »Ich habe ein Zimmer gebucht«, sagte ich. »Sissi Fux aus Wien. Mit Meerblick.«
    »Ja, natürlich, natürlich«, sagte der Alte und schlug sich mit einer ausgemergelten, von Pigmentflecken übersäten Hand an die Stirn. »Entschuldigen Sie. Entschuldigen Sie. Mit Frühstück, nicht wahr? Wir haben telefoniert, nicht wahr? Ich habe mich noch gewundert, dass Sie unsere Sprache so gut sprechen. Das Hochzeitszimmer ist für Sie reserviert. Unser schönstes Zimmer. Mit Himmelbett.« Wieder das scheue Lächeln. »Um diese Jahreszeit kommen keine frisch verheirateten Paare vom Festland, sie kehren erst im Mai wieder. Warten Sie, warten Sie, ich schaue gleich nach.«
    Schließlich händigte der alte Mann mir den Schlüssel für Zimmer neun aus, einen großen, ziemlich kalten Raum im ersten Stock mit einem goldbraunen, teilweise von abgetretenen, ausgefransten dunkelroten und blauen orientalischen Teppichen bedeckten Fliesenboden, leicht vergilbten Tapeten und einem offenen Kamin. Auf dem Bett lag eine aus vielen bunten, offenbar handgestrickten Wollquadraten zusammengesetzte Decke, und am Kopfende saß zwischen roten Seidenkissen eine große, pausbäckige Plastikpuppe mit steifen, glänzenden schwarzen Haaren und Augenwimpern und einem grünen, weiß gepunkteten weiten Rock mit Volants und dazupassendem Bolero. Das linke Augenlid der Puppe hing herab, es sah aus, als sei sie meine Komplizin, als zwinkere sie mir zu. Das Bett hatte an den Ecken vier Pfosten, die in etwa zweieinhalb Meter Höhe durch einen quadratischen Holzrahmen miteinander verbunden waren. Dieser Rahmen war jedoch nicht mit Stoff bespannt, weshalb die Liegestatt irgendwie spartanisch wirkte, obwohl sie sehr breit war. Ein riesiger, dunkler alter Schrank mit einem großen ovalen Spiegel füllte den Großteil einer Wand aus.
    Ich trat an eines der drei großen, nach Süden ausgerichteten Fenster, öffnete es und atmete tief ein. Der Blick auf das Meer war nicht völlig frei, er wurde durch die teils immergrünen, teils spärlich belaubten Bäume und Sträucher des Gartens etwas beeinträchtigt. Aber man konnte die blaue Wasserfläche hinter den Ästen, den Zweigen, dem Laub sehen, man hörte und roch das Meer.
    Plötzlich überkam mich eine große Müdigkeit, und ich ging zurück zum Bett, schlüpfte aus den Schuhen und legte mich angekleidet unter die Decke. Ich war erschöpft von der Reise, hatte wegen der fortwährend im Schlaf sprechenden Wienerin eine unruhige Nacht verbracht. Die Meeresluft tat das Ihre. Das Letzte, was ich vor Augen hatte, bevor ich einschlief, war das Gesicht des alten Mannes an der Rezeption, lächelnd und überzogen von einem Raster unzähliger feiner Fältchen.
    »Entschuldigen Sie, gnädige Frau, entschuldigen Sie, aber ich bestehe darauf, Ihr Komplize zu sein«, sagte er auf Deutsch und zwinkerte mir zu.

6
    Am nächsten Morgen servierte mir eine füllige Dame mittleren Alters mit mahagoniroten, sorgfältig ondulierten Haaren in einem weißen, mit enormen Schulterpolstern bestückten Mohairpullover das Frühstück. Außer mir saß nur noch ein

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