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Die Unzertrennlichen

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Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Ich war zwar schon in Neapel gewesen, aber nie am Molo Beverello, von wo aus die Fähren und Schnellboote nach Procida fuhren, nach Casamicciola Terme auf Ischia, nach Capri und noch weiter, bis zu der kleinen Insel Ustica im Tyrrhenischen Meer nördlich von Sizilien. Im Hafen, an und auf den anderen Molen, war viel Bewegung, riesige orangefarbene, blaue und gelbe Kräne drehten sich langsam, ergriffen ihre Last, hoben sie hoch und setzten sie wieder ab. Möwen schrien, Fährschiffe legten an und fuhren weg, man hörte das langgezogene, dumpfe Geräusch der Schiffshörner, weiter draußen ankerten große Frachtschiffe. Nicht weit von mir entfernt lagen nebeneinander zwei kleine schwarze U-Boote, und ich dachte an Emma und ihren Vater, der solche Schiffe maßstabgetreu nachbaute, wenn auch die der deutschen Wehrmacht. Emma wusste, dass ich nach Italien gefahren war, auf eine Insel, ich hatte ihr gesagt, ich sei überarbeitet und wolle mich ein paar Tage entspannen. Sie hatte mich von der Seite angesehen.
    »In der Tat?«, hatte sie gesagt. »Fährst du allein?«
    »Ja, klar. Schließlich möchte ich mich erholen.«
    »Tatsächlich«, hatte sie wiederholt, und das zweite Mal hatte es eher wie eine Feststellung denn wie eine Frage geklungen.
    Auf der Fähre sah ich den hageren Italiener mit dem schweren Gepäck wieder. So wie ich saß er trotz des kühlen Windes an Deck und unterhielt sich mit zwei jungen Frauen. Ich konnte nicht hören, was sie sagten, aber sie lachten viel, und tatsächlich rauchte er ununterbrochen, zündete sich die neue Zigarette am Stummel der alten an. Die Überfahrt dauerte etwa eine Stunde. Nach einer Weile stand ich auf, ging nach vorne zum Bug und stellte mich an die Reling. Der Großteil der Wolken hatte sich verzogen, die Sonne zeigte sich, und die Schönheit der Insel, welcher wir uns rasch näherten, war atemberaubend – die Pastellfarben der Häuserfront am Pier, die Gebäude der Altstadt weiter oben, linker Hand die Festung auf einem steilen Felsen, die vielen großen und kleinen Boote im Hafenbecken und auf der bewegten, glitzernden Meeresoberfläche, alles unter einem nun hohen, klaren Himmel. Plötzlich empfand ich eine Gespanntheit, eine Aufgeregtheit, eine Art Vorfreude, und zog unwillkürlich die Luft ein. Da sprangen nicht weit von der Fähre drei Delfine in elegantem Bogen aus dem Wasser, einer knapp nach dem anderen.
    »Wunderbare Tiere, die Delfine, nicht wahr?«, sagte jemand. »Ein Symbol für Christus, unseren Herrn. Wenn sie schlafen, bleibt ein Auge immer geöffnet. Haben Sie das gewusst?«
    Ich wandte den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ein kleiner, kahlköpfiger Mann mit einem erstaunlicherweise wie Australien geformten Feuermal mitten auf der Stirn war neben mich getreten. Naevus flammeus, angeboren. Zur Illustration seines Kommentars hielt er ein Auge zugedrückt. Es sah aus, als zwinkere er mir zu. Als sei er mein Komplize. Er war mir nicht sympathisch.
    »Nein«, sagte ich.
    »Delfine nähern sich den Schiffen, um auf den Wellen zu reiten. Sie hören und sehen sehr gut.« Er machte das Auge wieder auf, legte den Kopf schief und musterte mich. »Sie sind eine große Frau. Ein bisschen zu groß. Ein bisschen zu dünn, wenn ich das sagen darf. Keine Italienerin, Italienerinnen sind kleiner. Aber sie verstehen Italienisch. Sind Sie Engländerin?«
    Jetzt wurde er auch noch unhöflich.
    »Nein«, sagte ich und richtete den Blick nach vorn, auf die Insel.
    »Deutsche?«
    »Nein«, wiederholte ich, ohne ihn anzusehen.
    »Holländerin?« Er kicherte.
    Ich schüttelte den Kopf. Ärgerlich, dieses Ratespiel, zu dem man in Italien ständig genötigt wurde. Der Mann streckte mir die Hand hin. Ich nahm sie nicht. Es schien ihn wenig zu stören.
    »Gestatten, Filippo di Natale. Ich bin Zeuge Jehovas. Unser Missionsgebiet ist Neapel, aber mein junger Kollege Fulco und ich kommen öfter nach Procida, um auch hier unseren Predigtdienst zu versehen.« Er wies auf einen jungen Mann, der nicht weit entfernt mit angezogenen Knien auf einer langen Bank lag und schlief. »Wir Zeugen Jehovas sind der Ansicht, auch die Inselbewohner haben ein Anrecht zu erfahren, dass die furchtbare Schlacht von Armageddon unmittelbar bevorsteht und dass danach das Tausendjährige Reich endlich anbrechen kann.«
    »Ach, das Tausendjährige Reich? Davon habe ich gehört, allerdings in anderem Zusammenhang. Entschuldigen Sie, ich muss zu meinem Gepäck zurück, wir kommen gleich an«,

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