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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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sagte ich und ließ den Mann mit dem Naevus in der Form Australiens stehen.
    »Ausgezeichnet, Ihr Italienisch!«, rief er mir nach. »Wir sehen uns in Procida!«
    Das hoffte ich nicht. Der Zeuge Jehovas hatte mir den Anblick der Delfine, dieser freien, verspielten Lebewesen, verleidet.
    Wenig später stand ich neben meinem kleinen Koffer am Fährhafen Marina Grande auf Procida und versuchte die Fahrerin des einzigen Taxis, das weit und breit zu sehen war, durch lautes Rufen und heftiges Winken auf mich aufmerksam zu machen. Doch die beiden Zeugen Jehovas kamen mir zuvor, und im Vorbeifahren lächelte Signor di Natale mich schadenfroh durch das Seitenfenster an. Sein Feuermal leuchtete. Ich beschloss, zu Fuß zu meiner Pension zu gehen, weit konnte sie nicht sein. Da trat der Mann mit dem abgeschabten hellbraunen Ledermantel aus der Straßenbahn in Neapel rauchend auf mich zu.
    »Mit den Taxis ist das hier so ein Problem«, sagte er. »Es gibt nur wenige. Wohin wollen Sie?«
    »Zur Pensione Paradiso.«
    Er krümmte sich und hustete lange. Raucherhusten.
    »Ich habe meinen Wagen zwei Minuten von hier geparkt«, sagte er dann. Für einen Italiener aus der Gegend sprach er langsam. »Wenn Sie möchten, bringe ich Sie hin.«
    Er erschien mir vertrauenswürdig, also sagte ich ja und blieb beim Gepäck stehen, während er das Auto holte, einen roten Fiat 500. Der Italiener bewegte sich auch langsam. Da er Mühe hatte, den Rucksack und die beiden Koffer auf dem Rücksitz zu verstauen, half ich ihm dabei. Kein starker Mann. Es war amüsant zu sehen, wie der lange Mensch, die Zigarette in der Hand, sich mehrmals zusammenfaltete und es schließlich schaffte, seinen dünnen Körper hinter dem Steuer des kleinen Wagens unterzubringen. Die eckigen Knie befanden sich auf Lenkradhöhe. Ich hatte wenig Platz neben ihm. So langsam, wie er sprach und sich bewegte, fuhr er auch, zunächst die Mole entlang. Dann bog er rechts in eine Straße ein, die leicht aufwärts führte.
    »Machen Sie hier Ferien?«, fragte er schließlich.
    »Ja«, sagte ich.
    Er dämpfte die Zigarette im Autoaschenbecher aus, zog eine neue aus einem der fünf Päckchen Lucky Strike, die ordentlich aufgereiht auf dem Armaturenbrett lagen, und zündete sie an. Im Zuge dieses Manövers, das eine ganze Weile dauerte, geriet er zu weit nach rechts und streifte heftig am Randstein an.
    »Hoppla«, sagte er und lachte sein heiseres Lachen. »Sie werden sehen, Ihre Pension ist angenehm. Wenn auch ein bisschen seltsam. Kommen Sie aus Rom?«
    Das beliebte italienische Ratespiel begann von vorne. Ich beschloss, es abzukürzen.
    »Nein«, sagte ich. »Aus Wien.«
    Er blickte mich überrascht von der Seite an. Interessanter Blick. Hell. So hell. Wie Wasser.
    »Sie sind Wienerin?«
    »Sozusagen. Ich lebe in Wien. Und die nächste Frage stelle ich.«
    Er lächelte.
    »Nur zu.«
    »Was sind das für Bücher in Ihrem Rucksack?«
    »Solche, die ich aus dem Italienischen ins Deutsche übersetze. Und noch ein paar andere.« Plötzlich sprach der Mann Deutsch, mit norddeutschem Einschlag. »Außerdem schwere Wörterbücher, die ich aus Hamburg mitschleppe.« Er verfiel wieder ins Italienische. »Auf der Insel gibt es ein internationales Kollegium für literarische Übersetzer, in dem man gut arbeiten kann. In einem schönen alten Gebäude, dem Palazzo Catena. Ich komme oft hierher, auch im Spätherbst und Winter. Da gefällt mir die Insel besonders gut.«
    »Dann sind Sie Deutscher? Aber Sie haben nicht den leisesten Akzent!«
    »Danke für das Kompliment. Sie auch nicht, nebenbei bemerkt. Sollen wir Deutsch sprechen?«
    »Nein«, sagte ich schnell. »Nein, bleiben wir beim Italienischen.«
    »Hier sind wir«, sagte er, fuhr an den Straßenrand und hielt an, machte jedoch keine Anstalten auszusteigen.
    Ich öffnete die Beifahrertür, trat auf die Straße und blieb unschlüssig stehen.
    »Passen Sie bloß auf die Motorinos auf!«, sagte er. »Die jungen Leute hier fahren wie die Wilden.«
    Ich nahm meinen Koffer vom Rücksitz, stellte ihn auf den Gehsteig und beugte mich zum Fahrerfenster hinunter.
    »Also dann«, sagte ich. »Vielen Dank.«
    »Ciao, bella«, sagte der Mann aus Hamburg und zog kräftig an der Zigarette. »Bis irgendwann.«
    Mit dem Koffer in der Hand ging ich durch ein halb offen stehendes hohes Tor aus dunkelblau gestrichenem Holz, neben dem auf einem ovalen, türkisfarbenen Schild aus Keramik in verblasster, von angedeuteten Meereswellen und Seesternen umrahmter rosa

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