Die Unzertrennlichen
Zimmer hier, sie haben auch im Hochzeitszimmer gewohnt –, jedenfalls, da hat sie gesehen, wie der Dottore – also, wie er seine Frau durchs Zimmer gestoßen hat. Ziemlich brutal, hat Elettra gesagt. Eine so schöne Frau!«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Meine Schwester hat es niemandem erzählt. Niemandem außer Chiara, Fiorina und mir. Keiner hätte es ihr geglaubt. Aber wir glauben es. Sie hat es geschworen. Elettra würde niemals lügen. Sie ist die Frömmste in der Familie. Sie möchte Nonne werden. Und Lügen ist eine Todsünde.«
Mirella biss sich auf die Lippen und wandte den Blick ab. Ich traute ihr und ihrer Schwester nicht.
»Und da ist noch etwas«, sagte sie dann. »Wir haben etwas entdeckt. Aber nicht sofort, erst später. Als die Suche schon eingestellt war. Deshalb haben wir dieses kleine Ding auch nicht zur Polizei im Palazzo Catena gebracht. Es war in ihrer Windjacke. In der Innentasche. Ich hatte noch nie so etwas gesehen, ich kenne mich bei Computern nicht aus. Meine Schwester Chiara hat gesagt, es ist ein USB -Stick.« Wieder das schüchterne Lächeln. »Chiara geht in Neapel in die Handelsschule, sie ist klug, die Klügste von uns allen. Auf einem USB -Stick kann man Sachen speichern, hat sie mir erklärt. Ich glaube, sie hat ihn an ihren Laptop angesteckt. Kann sein, dass sie etwas gefunden hat, sie hat es mir nicht gesagt.« Sie zog die Schultern hoch und sah mich an. »Wir könnten es ohnehin nicht lesen, wenn es in Ihrer Sprache geschrieben ist. Auf Österreichisch. Jedenfalls haben wir das Ding noch. Wenn Sie wollen, bringe ich es Ihnen morgen mit. Meine Schwestern haben sicher nichts dagegen. Wo Sie doch so gut befreundet waren mit dem Dottore und seiner Frau.«
Die Eröffnung des Stubenmädchens, dass Regina einen so persönlichen Gegenstand zurückgelassen hatte, setzte mir zu. Ich versuchte mich zu beruhigen. Wahrscheinlich war der USB -Stick leer. Wahrscheinlich waren die darauf gespeicherten Aufzeichnungen uninteressant. Zweifellos wurde ein Benutzername verlangt, ein Passwort, ich würde keinen Zugang zu den Dokumenten finden. Aber die Anspannung ließ nicht nach. Im Grunde hatte ich nicht damit gerechnet, so bald auf etwas zu stoßen, das in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Leben meiner verschwundenen Freundin stand. Um mich abzulenken, beschloss ich, mich auf der Insel etwas umzusehen. Beim Verlassen der Pension stieß ich beinahe in einen großen, breitschultrigen Mann mit kariertem Hemd und einer blauen Arbeitshose, der vor der Eingangstür neben einem Fahrrad stand. Neben einem violetten Fahrrad mit rosa Sattel. Das überraschte mich, aber nicht allzu sehr. Solche Dinge kamen vor.
»O, Pardon!«, sagte ich.
Der Mann richtete sich auf. Er hatte fast schulterlanges schwarzes Haar, buschige Augenbrauen und einen ebenso buschigen Schnurrbart. In seine niedrige Stirn waren drei lange, schnurgerade horizontale Falten tief eingegraben. Ein Typ wie Anthony Quinn in La Strada . Ich liebe italienische Filme. Der Mann wischte sich die große rechte Hand an der Hose ab und streckte sie mir entgegen.
»Smaldone«, sagte er. Ich sah ihn an. Oreste? Orfeo? Als habe er meine Gedanken erraten, fügte er hinzu: »Giuseppe.« Ich war ein bisschen enttäuscht. »Sie müssen die Dame aus Wien sein. Meine Frau hat mir von Ihrer Ankunft erzählt. Entschuldigen Sie die schmutzigen Hände – es ist nur ein bisschen Kettenschmiere.« Er wies auf das Fahrrad. »Hab ich gefunden«, sagte er. »Auf der Müllhalde. Ich verstehe nicht, wie jemand ein solches Fahrrad wegwerfen kann. Die Leute haben einfach zu viel Geld. Ich hab es mit ein paar Handgriffen repariert, es ist wie neu. Gehen Sie spazieren?«
»Ja«, sagte ich, »ich möchte mich ein bisschen umsehen. Die Insel ist ja nicht sehr groß.«
»Nicht groß? Unterschätzen Sie unsere Insel nicht.« Er hielt inne. »Nehmen Sie das Fahrrad«, sagte er dann. »Das ist besser, als zu Fuß zu gehen. Hier steht es ohnehin nur herum, ich habe ein Motorino, und meine Frau fährt nur mit dem Auto, sie geht keinen Meter zu Fuß, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
Ich überlegte kurz.
»Gute Idee«, sagte ich. »Vielen Dank.«
Er probierte die Klingel aus.
»Sogar die Klingel funktioniert wieder«, sagte er mit Genugtuung und hielt mir das Fahrrad hin. Ich setzte mich darauf und fuhr einmal ums Haus herum.
»Na, wie fühlen Sie sich?«, fragte Signor Smaldone. »Ist der Sattel nicht zu hoch?«
»Nein«, sagte ich, »die Höhe ist genau
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