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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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das Lokal zu besuchen, in dem der Postbote Mario die schöne Wirtstochter Beatrice kennen und lieben gelernt hatte. Die Insel war auch malerischer Hintergrund in Minghellas Film Der talentierte Mr. Ripley , gedreht nach dem Kriminalroman von Patricia Highsmith. Wer weiß, vielleicht war dieser Umstand sogar der Grund dafür gewesen, dass Regina und Stefan sich für Procida als Urlaubsziel entschieden hatten? Sicher hatte sie sich während ihres Aufenthalts die Schauplätze angesehen. Ich hatte mich manchmal gefragt, was eine so vernünftige, geradlinige, psychisch unversehrte Person wie Regina an diesen morbiden Geschichten, den skrupellosen Machenschaften ihrer geistig wie seelisch abnormen Protagonisten so faszinierend fand. Es war wohl die Anziehung der Gegensätze gewesen. Ohne etwas zu sagen, ging ich an den Männern vorüber.
    »Freundlich ist sie nicht, die Hübsche«, bemerkte einer.
    »Was heißt hier hübsch? Die ist doch dünn und lang wie eine Bohnenstange!«
    »Genau, sie kann sich bequem hinter einem Laternenpfahl umziehen!«
    Das Lachen der Männer folgte mir. Offenbar unterschieden sie sich nicht von ihren Geschlechtsgenossen im Sausal. Nicht grundlegend. Nach ein paar Schritten sah ich den grünen Neonschriftzug Trattoria Gabriela über dem schmalen Eingang eines kleinen blauen Hauses. Ich lehnte mein Fahrrad an die Mauer und betrat das Lokal. Die Gastwirtschaft bestand aus einem einzigen, relativ kleinen Raum mit einem niedrigen Gewölbe, von dem Netze mit getrockneten Seesternen und Seepferdchen hingen. In einer Ecke lehnte ein riesiger rostiger Anker mit einem Stück der Ankerkette. Hinter dem Schanktisch stand mit gelangweiltem Blick, fettigen grauen Haaren und einer Stirnglatze, ein kariertes Geschirrtuch in der Hand und eine schmutzige weiße Schürze umgebunden, ein dicker Mann mittleren Alters. Er wandte den Kopf in meine Richtung.
    »Guten Abend«, sagte er, ohne zu lächeln.
    Es gab nur fünf Tische, zwei davon waren besetzt. Um einen Tisch war ein jüngeres Paar mit zwei Kindern gruppiert, und am zweiten saß, unter dem bedrohlich aus der Wand ragenden Schwert des auf Holz aufgezogenen großen Kopfes eines präparierten Schwertfisches, eine Zigarette in der schmalen Hand mit den langen Fingern, der Übersetzer mit den wasserhellen Augen aus Hamburg. Als ich mich an einem der freien Tische niederlassen wollte, sah er mich und lächelte.
    »Ach, die Signorina aus Wien!«, sagte er auf Italienisch, zog an der Lucky Strike und blies den Rauch durch seinen breiten Fischmund aus. »So trifft man sich wieder. Setzen Sie sich zu mir, ich bin seit Jahren Stammgast hier und kann Sie bei der Speiseauswahl beraten, wenn Sie wollen.« Er rückte einen der mit Stroh bespannten Stühle zurecht, und ich setzte mich hin. Der Stuhl wackelte, die Sitzfläche war hart. Der Wirt ließ das Geschirrtuch in Richtung Espressomaschine schnalzen. Der Norddeutsche bemerkte meinen Blick. »Nein, Vittorio fängt keine Fliegen, er ist nur gereizt, seine übliche Gemütsverfassung. Aber seine Frau und seine Schwiegermutter kochen nicht schlecht, also empfiehlt es sich, sein unfreundliches Wesen zu tolerieren.«
    »Anders, du Tagedieb, was verbreitest du da für Lügen über mich?«, rief der Wirt.
    Anders hieß er also. Er hieß Anders.
    Zwei Stunden später saßen wir beim Nachtisch. Die Familie hatte das Lokal inzwischen verlassen, wir waren die einzigen Gäste. Der Übersetzer hatte mir zu Lingue di Suocera geraten, zu Schwiegermutterzungen, einem zarten, mit Zitronencreme gefüllten Gebäck, das in diesem Restaurant tatsächlich von der Schwiegermutter des Wirtes hergestellt wurde. Vittorio hatte uns den Teller mit ausladender Geste und der Bemerkung »Ganz frisch! Der Drache wünscht guten Appetit!« auf den Tisch gestellt.
    Der Mann namens Anders aß ebenso gemächlich, wie er sprach, sich bewegte und sein Auto lenkte. Zwischen den Gängen rauchte er. Fasziniert hatte ich ihm dabei zugesehen, wie er das Fleisch seiner kleinen Krebse bedächtig aus der Schale herauslöste, es umständlich auf die Gabel spießte, im Zeitlupentempo zum Mund führte und unendlich langsam zerkaute.
    »Sie heißen Cicarelle«, erklärte er. »Delikat. Schmecken wie Hummer.«
    »Wir nennen sie Pisskrebse«, sagte Vittorio verächtlich und stocherte mit dem linken Zeigefingernagel in seinen Zähnen. »Ich verstehe nicht, was die Leute daran finden. Sie pissen, wenn sie gekocht werden. Ekelhaft. Es verdirbt den Geschmack. Meine Alte und der

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