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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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richtig. Also bis später. Und danke noch einmal.«
    Langsam lenkte ich das Fahrrad über den unebenen Weg und durch das dunkelblaue Tor hinaus ins Freie und bog links in eine leicht abschüssige Straße ein. Der Morgen war hell, ein frischer Wind wehte, und ein paar Schäfchenwolken zogen rasch am blassblauen Himmel dahin. Ich fuhr an dunkel gekleideten, o-beinigen alten Frauen mit schwarzen Kopftüchern und an kleinen, schnurrbärtigen, krumm gehenden Männern mit Schirmmützen vorüber und klingelte öfter, als nötig war. Der Übersetzer aus Hamburg hatte recht: Man musste höllisch auf die Mopeds und Kleinmotorräder achtgeben, die in hohem Tempo um die Straßenecken gefahren kamen. Um ein Haar wäre ich mit einem der öffentlichen Busse zusammengestoßen, die fast die ganze Breite der schmalen, kurvenreichen Fahrbahnen einnahmen. Ich verstand nicht, was der Fahrer mir wütend hinterherrief, lachte einfach, aus Freude darüber, dass ich Glück gehabt hatte. Wahrscheinlich hielt er mich für verrückt, denn er tippte sich an die Stirn. Ich fuhr am Tor des Friedhofs vorüber und sah, wie sich zwei Kinder auf dem Gehsteig und ein Paar, das mich in einem Auto überholte, davor bekreuzigten. Gleichgültig, ob es eine kleine italienische Insel war oder die Südsteiermark – abergläubisch waren sie hier wie dort. Bald lag das Zentrum des Ortes hinter mir, und ich fuhr auf holprigen, von baufälligen Steinmauern gesäumten engen Straßen dahin, auf denen kein Mensch und kein Fahrzeug zu sehen waren. Das Leben schien sich jenseits der Mauern abzuspielen. Mein hinterer Kotflügel klapperte, und der Lärm verscheuchte ein paar Katzen, die auf den von der Morgensonne erwärmten Steinen lagen. Die Art der Fortbewegung begann mir zu gefallen. Auf der anderen Seite der Mauern standen Palmen mit dürren Wedeln, grün belaubte Bäume voller Orangen und hohe Gewächse mit ledrigen Blättern und kugeligen roten Früchten. Auch lange Stangen überragten sie, auf denen Weinranken aufgezogen waren, deren Laub braun und trocken war. Die Trauben hatte man längst geerntet.
    Als ich bemerkte, dass ich mich in unmittelbarer Nähe des Meeres befand, hielt ich an, lehnte das Fahrrad an eine schiefe Holzwand mit vielen Schichten verblichener, zum Teil heruntergerissener alter Werbeplakate und ging zwischen Olivenbäumchen auf einem staubigen Pfad in Richtung Strand. Ein kleiner toter Hund lag, von Insekten umsurrt, im stacheligen Gebüsch am Wegrand. Seine Augen waren weit offen. Plötzlich fühlte ich mich unbehaglich. Da öffnete sich der Blick auf das Meer, das rostige Wrack eines ehemals weißen Vergnügungsschiffes lag nicht weit vom Ufer entfernt im seichten Wasser, und in der Ferne konnte man den hohen Felsen mit der Abtei sehen, die sogenannte Terra Murata.
    Der Pfad endete, und ich hielt mich an verdorrten, mir in die Handflächen schneidenden Grasbüscheln fest und kletterte über eine etwa zwei Meter hohe, zu flachen Wellenlinien erstarrte Basaltwand hinunter zu einer kleinen Bucht. Am Strand aus feinem schwarzen Sand saß ein Mann und schaute aufs Wasser hinaus. Als er mich bemerkte, drehte er sich um. Es war der Zeuge Jehovas mit dem Flammenmal auf der Stirn. Seine dunkelbraunen Schuhe standen exakt parallel zueinander auf dem Sand, die schwarzen Socken lagen ordentlich ausgebreitet daneben. Die Füße hatte er ins Wasser getaucht, seine Zehennägel waren lang, gebogen und gelblich.
    »Ah, die große dünne Frau! Ich wusste, dass wir uns bald wiedersehen würden«, sagte er. »Ein schöner Ort, nicht wahr? Aber einsam. Setzen Sie sich doch zu mir!«
    Ich hatte keine Lust, mich neben Signor di Natale niederzulassen, der einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd trug, eine dunkelbraune Krawatte umgebunden hatte und in dieser fast feierlichen Kleidung deplaziert und auf dem schwarzen Sand außerdem ein wenig unheimlich wirkte. Also blieb ich neben ihm stehen.
    »Wo ist Ihr Kollege?«, fragte ich, um etwas zu sagen.
    Er blickte zu mir hoch und kniff ein Auge zu, denn die Sonne stand hinter mir.
    »Welcher Kollege? – Ach, Fulco meinen Sie? Er ist im Königreichssaal und bereitet alles für die Versammlung vor. Sie sind herzlich eingeladen. Heute Abend um neun, Via Lingua Nummer drei. Ich werde über das Problem der Bluttransfusion sprechen. Wir Zeugen Jehovas lehnen das ab. Auch das Spenden von Blut. Ein interessantes Thema, Blut …« Er griff nach meinem linken Knöchel und hielt ihn fest. Ich rührte mich nicht. Er kicherte.

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