Die Unzertrennlichen
Drache spießen sie deshalb vor der Zubereitung auf, um sie schon vorher dazu zu bringen. Wenigstens das. Man sollte sie leben lassen, sie sind sehr intelligent und unglaublich schnell. Ihre Augen sind viel besser als unsere, sie sehen mehr Farben als wir. Ich war früher Fischer, ich kenne die Tierchen.«
Der Deutsche ließ sich den Appetit nicht verderben, ebenso wenig wie ich. Es gab für mich nichts Schöneres, als in einer kleinen Trattoria in Italien auf einem wackeligen Stuhl unter Netzen mit totem Meeresgetier zu sitzen und lokale Spezialitäten auszuprobieren. Ich hatte den Rat von Signor Achille beherzigt und mich für Coniglio Cacciatore entschieden, Kaninchen nach Jägerart. Es schmeckte vorzüglich.
»Und dieses Getue mit den Kaninchen«, murrte der Wirt und zog mir den noch nicht ganz leeren Teller unter der Nase weg. »Wer wird schon satt von dem bisschen Fleisch? Im La Vigna verlangen sie das Doppelte dafür. Dabei sind sie nicht halb so gut wie bei uns. Die Chefin dort geht von Tisch zu Tisch und preist sie an, die ausgemergelten Kadaver.« Er äffte eine hohe Frauenstimme nach. »Etwas ganz Besonderes, ein Rezept aus dem achtzehnten Jahrhundert! Sie müssen wissen, es geht auf die bourbonischen Könige zurück, die hier auf Kaninchenjagd gingen!« Er kratzte sich am Hinterkopf und ging in Richtung Küche. »Bourbonische Könige, ha!«, schimpfte er. »Blutsauger, sonst gar nichts!«
Ich spürte den Alkohol. Der Übersetzer hatte mir einen Rotwein aus der Gegend namens Aglianico empfohlen, er selbst trank Weißwein.
»Falanghina, eine uralte Sorte, genau wie der Wein, den Sie trinken. Beide Rebsorten wurden wahrscheinlich schon von den Griechen angebaut«, sagte er und hob sein Glas hoch. Plötzlich sah ich Stefan vor mir, wie er das tulpenförmige Weinglas mit dem selbst gekelterten Riesling, auf den er so stolz war, gegen das Licht gehalten hatte. Es war das erste Mal seit dem Antritt der Reise, dass er mir in den Sinn kam. »Eine schöne Farbe. Wollen Sie ihn probieren?«
Ich probierte. Ein wunderbarer Wein. Der Mann aus dem Norden wurde mir immer sympathischer. Ich brachte es mit dem steigenden Alkoholspiegel in Zusammenhang. Auch an Emma musste ich denken. Ihre Beurteilung meiner Kochkunst, die mich so enttäuscht hatte, erschien mir nun eher erheiternd.
»Woran denken Sie?«, fragte Anders.
»Weshalb?«
»Weil Sie lächeln.«
»Ach, an nichts Besonderes. An eine Freundin aus Wien mit merkwürdigen kulinarischen Vorlieben.«
Nachdem wir bezahlt hatten, trat Vittorio mit einer schlanken, eine gelbe Flüssigkeit enthaltenden Flasche ohne Etikett und mit drei kleinen Gläsern an unseren Tisch. Er zog einen Stuhl heran, setzte sich zu uns und schenkte den Likör ein.
»Limoncello aus unseren Zitronen, den größten und saftigsten in ganz Italien. Eiskalt, so, wie es sich gehört. Mit den besten Empfehlungen von meiner Alten und dem Drachen. Cincin!«
Wir prosteten einander zu und tranken. Der Übersetzer wies mit schlaffer Hand auf mich. Eine kraftlose, aber elegante Geste.
»Vittorio, darf ich dir –« Er verstummte und blickte mich fragend an. »Ich weiß ja nicht einmal, wie Sie heißen.«
»Sissi. Sissi Fux.«
»Das ist Sissi Fux. Aus Österreich.«
»Österreich«, brummte der Wirt. »Gehört nicht zu meinen Favoriten. Da sind mir ja die Deutschen noch lieber.« Er lachte laut und schlug Anders auf die Schulter. »So wie der da! Österreich, na, ich weiß nicht … Kam da nicht auch die Frau her, die vor zwei Jahren ertrunken ist?«
»Genau. Regina König. Die Sängerin«, sagte Anders. »Die Polizei hat damals den Ehemann verhört und mich gebeten zu dolmetschen.«
Mit einem Mal war ich nüchtern.
»Also, wenn du mich fragst, an der Sache war was faul«, sagte der Wirt und trank sein Glas aus. »Oberfaul. Sie kamen öfter hierher, haben groß getafelt. Nach ein paar Gläsern von unserem schweren Wein konnten sie ziemlich laut werden. Vor allem die Gnädige, die immer so vornehm tat. Die beim Gehen ein paar Zentimeter über dem Boden schwebte, wie die heilige Cäcilia. Die Grazie in Person. Da klang ihre Stimme nicht mehr so engelsgleich wie damals, als sie in der Kirche die Messe gesungen hat. Ich verstehe ja kein Deutsch, aber was sie sich da an den Kopf geworfen haben, das waren keine Koseworte! Und dann die Verzweiflung des Ehemannes, nachdem sie verschwunden war. Fausto, der Polizist, der mit dem Fall zu tun hatte, hat mir erzählt, dass der Typ gar nicht mehr
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