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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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»Wollen Sie mir noch immer nicht sagen, woher Sie kommen?«, fragte er dann. »Ist es ein Geheimnis?«
    »Ich komme aus Wien.«
    »Wien …« sagte er nachdenklich, ließ meinen Knöchel los und schaute wieder aufs Meer hinaus. »Wirklich, ein schöner Ort hier. Aber einsam, einsam. Sie sollten sich auf der Insel nicht allein herumtreiben.« Noch ein Kichern. »Nicht, dass ich Ihnen Angst machen will. Übrigens kann auch das Meer gefährlich sein. Die Touristen unterschätzen es. Es gibt heimtückische Strömungen und Wasserwirbel. Sie werden es nicht glauben, aber wir sitzen hier auf einem Vulkan, einem tätigen Vulkan. Alles ist instabil unter uns, höchst instabil. Heißes Wasser und Dampf, hoher Druck. Manchmal steigen Rauchsäulen aus dem Meer auf. Immer wieder ertrinkt jemand. Letztes Jahr war es eine Frau, in Ihrem Alter etwa, eine sehr schöne Frau aus – Oder war das schon vor zwei Jahren? Jedenfalls war sie aus –« Er überlegte kurz, griff sich an die Stirn. »Sie war aus Österreich!«, rief er dann. »Ja, aus Österreich. Sie war aus Ihrer Heimat, ein merkwürdiger Zufall, finden Sie nicht?«
    »Ein Zufall? Na ja, im Grunde –«
    Schon wollte ich Signor di Natale erzählen, dass ich Regina gekannt hatte, aber dann hielt ich mich zurück.
    »Ein Badeunfall«, sagte er. »Wenn es einer war. Manche hier denken anders darüber, als die Polizei es uns weismachen wollte. Schließlich ist ihre Leiche nie aufgetaucht.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Eine schlimme Geschichte. Die schöne Frau war verheiratet, sie war mit ihrem Ehemann hier. Sie war zu allen freundlich.« Er kicherte abermals. »Ein bisschen zu freundlich vielleicht. Vor allem zu den Männern. Zu Fulco zum Beispiel, meinem Helfer. Kein Wunder, er sieht ja auch gut aus.« Ein Grinsen. «Und er ist jung, sehr jung.« Er blickte sich um und senkte die Stimme, so, als könnte uns an diesem einsamen Platz jemand belauschen. »Ich habe sie überrascht, Fulco und die schöne Österreicherin, wissen Sie.«
    Ich horchte auf.
    »Wie, überrascht?«
    »Also, ich habe die beiden gesehen, abends, bei den Felsen von Ciraccio, wo es ganz einsam ist. Sie –« Er unterbrach sich und sprach in normalem Tonfall weiter. »Aber reden wir nicht mehr davon, wir Zeugen Jehovas denunzieren einander nicht. Anselmo, der Fischer von der Corricella, schwört jedenfalls, dass er die Frau kurz vor ihrem Tod mit drei Männern gesehen hat. Männer aus Neapel, die hier bekannt sind.« Ein amüsiertes Glucksen. »Ziemlich bekannt. Sie kommen öfter mit dem Boot hierher. Übrigens, wir werden heute Abend auch über das Zusammenleben ohne Trauschein, über Polygamie und über Homosexualität sprechen. Wir Zeugen Jehovas lehnen das ab.«
    Er blickte auf das große Zifferblatt seiner Armbanduhr, zog umständlich seine Socken an, schlüpfte in die braunen Schuhe, stand auf und klopfte seinen Anzug ab. »Entschuldigen Sie, aber ich muss gehen. Es sind noch mehrere Hausbesuche in der Nähe zu erledigen. Der Felddienst ist das Um und Auf unserer Lehre.« Er blickte mir ins Gesicht, griff mir gleichzeitig blitzschnell mit beiden Händen an die Brust, kicherte ein letztes Mal, drehte sich um und ging über den schwarzen Sand. Ich war zu verblüfft, um zu reagieren. Signor di Natale kletterte den Abhang hinauf, und am Beginn des Pfades, der zur Straße führte, drehte er sich um und winkte.
    »Wir sehen uns wieder!«, rief er.
    Das hoffte ich nicht.
    Als ich zurückkam, saß Achille, sein Akkordeon umgehängt, hinter der Rezeption. Sein Kopf war auf den Balg des Instruments gesunken, er schnarchte leise, eine Art Winseln, wie das eines Hundes. Als ich die Tür hinter mir schloss, fuhr er hoch.
    »Entschuldigen Sie, entschuldigen Sie«, sagte er und zog verlegen an dem langen Haar auf seinem Kinn. Die Kanten der Falten des Balges hatten vertikale rote Linien in seine Stirn gedrückt. »Ich bin nur ein bisschen eingenickt. Nur ein bisschen. Es ist ja nicht viel zu tun.«
    Ich fragte ihn, ob man in der Pension gut essen könne. Mit dem langen, gekrümmten Zeigefinger eines Skeletts winkte er mich näher zu sich. »Was ich Ihnen jetzt sage, bleibt unter uns«, sagte er leise, mit heiserer Stimme. »Natürlich will die Chefin, dass Sie im Haus essen. Natürlich. Aber ich muss Sie warnen. Sie kocht nicht gut, die Chefin.« Er blickte entschuldigend. »Ich möchte sie nicht anschwärzen, sie kann nichts dafür, gar nichts, das Talent ist ihr einfach nicht gegeben. Ihre Polpi alla napoletana sind

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