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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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nicht für mich bestimmt. Ich tat etwas Verbotenes. Der mit grellgrünem Stift geschriebene Satz Wir brauchen hier keine Schnüffler fiel mir ein, auch die Frage des Übersetzers mit den hellen Augen, ob ich denn die Schnüfflerin sei. Ja, das war ich, ich war die Schnüfflerin. Die Spionin. Meine Handlungsweise ließ sich nicht rechtfertigen. Aber war Regina nicht auch meine engste Vertraute gewesen, mit der ich über alles gesprochen hatte? Es hatte keine Geheimnisse zwischen uns gegeben. Hätte sie mir nicht mit der ihr eigenen Offenherzigkeit und Großmut ohne zu zögern gestattet, die von ihr hinterlassenen Aufzeichnungen zu lesen? Schließlich war der Anlass ein ernster, sie war verschwunden, von einem Tag auf den anderen, und die Gründe für ihr Verschwinden waren bis heute nicht restlos geklärt. Ihr Leichnam war nie aufgetaucht. Die Dateien, welche einzusehen ich im Begriff war, enthielten vielleicht wichtige Hinweise, die zu einer Erhellung der quälenden Situation beitragen konnten. Ich empfand eine Erregung, eine gespannte Erwartung, fühlte mich hellwach und sehr lebendig. Ich wusste, dass ich etwas Wichtiges finden würde. Dass ich nicht eher aufhören würde zu suchen, als bis ich es gefunden hatte.
    Zunächst stieß ich auf einen Ordner mit Gedichten – Rückert, Fontane, Goethe, Eichendorff, Mörike, Hebbel, Storm und andere. Texte, die zu Liedern vertont worden waren, wie ich annahm. Ich stöberte weiter. Im folgenden Ordner waren einige Dateien zusammengefasst, welche Steuerangelegenheiten betrafen. Ich überflog den Inhalt. Er schien mir nicht uninteressant, ich würde mich später ausführlicher damit beschäftigen. Danach kam ein Ordner mit mehreren Dateien, in denen Rezensionen ihrer CD s gespeichert waren, darauf ein weiterer mit ausführlichem elektronischen Schriftverkehr über musikalische Veranstaltungen, an denen sie teilgenommen hatte – Konzerte, Festivals, Liederabende.
    Und schließlich einer, der fünf Dateien mit persönlichen Niederschriften enthielt. Journale. Die Tagebücher erstreckten sich in chronologischer Reihenfolge über eine Periode von viereinhalb Jahren, sie setzten Anfang 1997 ein, zu einem Zeitpunkt, da wir uns noch ab und zu gesehen hatten. Eine Datei für jedes Jahr. Regina. Plötzlich war ihre Gegenwart greifbar, war dieses Hotelzimmer in Italien, das Hochzeitszimmer, in dem auch sie sich kurz aufgehalten hatte, von ihrer Anwesenheit erfüllt, so wie das alte Winzerhaus, wo sie mit Stefan gelebt hatte. Ich merkte, dass ich die Bewegung meiner Finger nicht kontrollieren konnte, sie begannen stark zu zittern. Als ich den Ordner für das Jahr 1997 öffnete, fing mein Herz heftig an zu pochen. Ich setzte mich aufrecht hin und versuchte, tief und regelmäßig zu atmen. Aufs Geratewohl sprang ich mitten in den Text hinein. Mein Blick fiel auf meinen Namen.
    » Sissi war ein paar Tage zu Besuch. Vor zwei Stunden hat Stefan sie zum Bahnhof gebracht. Ich bin erleichtert. Gott sei Dank wohnt sie nicht mehr in Wien, in unserer Nähe, sie absolviert einen Teil ihrer fachärztlichen Ausbildung in der Provinz, und ich hoffe, sie bleibt auch dort.
    Wie sagt man so treffend?: Fische und Gäste beginnen nach drei Tagen zu stinken. In ihrem Fall haben zwei ausgereicht. Es wird immer mühsamer, die bedingungslose Bewunderung dieser naiven Person zu ertragen. Früher hat mir ihre dümmliche Anbetung geschmeichelt, inzwischen ist sie mir lästig geworden. Ich brauche sie nicht mehr. Dieser arglose, hingerissene Blick aus den großen blauen Kinderaugen, unerträglich! Überhaupt sollten einen die Menschen mit ihren Gefühlen verschonen, vor allem mit den sogenannten aufrichtigen. Sie lasten wie ein Zentnergewicht auf einem, nehmen einem jede Freiheit. Im Grunde ist es nichts als eine ungeheure Zumutung, wenn andere einen zum Objekt ihrer schrankenlosen Zuneigung machen. Und die Selbstverständlichkeit, mit der erwartet wird, daß man diese fragwürdigen Empfindungen auch noch erwidert!
    Natürlich hat Sissi nicht die geringste Ahnung von dem Widerwillen, den ihre einfältige Verehrung hervorruft, dem Überdruß, den jeder ihrer verklärten Blicke in mir weckt. Ich lasse mir nichts anmerken. Es braucht ihr nicht bewußt zu sein, wie sehr ihre Ergebenheit mich langweilt. Man weiß nie, irgendwann kann einem eine solche devote Anhänglichkeit vielleicht von Nutzen sein. Menschen dieser Art lassen sich beim Verfolgen der eigenen Ziele gut einspannen. Sie merken es gar nicht, wenn man

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