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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Anders, der Deutsche, der öfter vorbeikommt, hat ihn so genannt, als ich ihn als kleines Vogeljunges von meinem Bruder geschenkt bekam. Der Name ist ihm geblieben. Er ist ja auch ein Rabe – genauer gesagt, ein Kolkrabe. Corvus corax.«
    Anders schien hier wirklich alle Welt zu kennen.
    »Wir Italiener haben Vögel gern, wissen Sie«, fuhr die alte Frau fort. »Besonders Singvögel. Wir haben sie gern, aber wir essen sie auch. So ist das Leben, nicht wahr?« Sie hob den Kopf und gackerte vergnügt. »Uckebein ist sehr intelligent, er spricht auch. Manchmal schaut er in den Spiegel, und er versteht, dass er selbst es ist, den er darin sieht. Meine Katzen begreifen das nicht, obwohl auch sie nicht dumm sind. Seine Lieblingsbeschäftigung ist das Stehlen – er stiehlt alles, was glänzt, aber auch die Wäsche von der Leine. Vorzugsweise Unterwäsche.« Wieder lachte sie. »Und er weiß, dass seine Beute nur dann sicher ist, wenn ihn niemand beim Verstecken beobachtet.«
    Sie sprach lebhaft und unterstrich, was sie sagte, mit anschaulichen Gesten ihrer krallenartigen Hände. Auf den ersten Blick machte sie nicht den Eindruck, als litte sie an Demenz.
    »Du bist ganz schön raffiniert, nicht wahr?«, sprach sie weiter mit dem Vogel. »Ja, ganz schön raffiniert, mein Schöner!« Dann wandte sie dem Raben den Rücken zu. »Na, komm schon, komm.« Huckebein kletterte umständlich aus dem Käfig und ließ sich auf ihrer Schulter nieder. Der Vogel war wirklich sehr groß. Seine schmächtige Betreuerin griff mit einer Krallenhand hinter sich und strich ihm über die glänzenden blauschwarzen Federn. Er ließ es sich gefallen.
    »Er fliegt nicht weg. Und wenn, dann nur ein Stückchen. Er kommt gleich wieder zurück, er ist ganz zahm«, sagte die Frau. »Nicht wahr, du fliegst nicht weg? Nein, nein, du bleibst bei mir. Für immer und ewig.«
    Ich trat näher und streckte die Hand nach seinem Gefieder aus. Es wirkte glatt und weich, ich wollte es berühren. Sofort hackte das Tier mit seinem großen schwarzen Schnabel nach mir, und ich zog die Hand erschrocken zurück. Wieder gackerte die alte Frau wie ein Huhn.
    »Ja, ja, mit dir ist nicht zu spaßen, nicht wahr?«, sagte sie. Und, zu mir gewandt: »Er kennt Sie nicht, wissen Sie. Wenn ihm jemand vertraut ist, lässt er sich streicheln. Bleiben Sie länger?«
    »Nein, nur noch ein paar Tage. Sie sind doch die Signora Ciaccoppoli? Ich hätte Sie gern etwas gefragt.«
    »Ach ja? Was denn?« Plötzlich wurde sie misstrauisch, wich zurück, legte den Kopf schief, was Huckebein augenblicklich nachahmte, schaute zu mir hoch, nahm die Brille ab und zog die Brauen über ihren großen runden, hellbraunen Nachtvogelaugen zusammen. »Woher kennen Sie mich überhaupt? Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Und wer hat Ihnen gesagt, wo ich zu finden bin?«
    »Signor Achille von der Pensione Paradiso. Ich wohne dort.«
    Die Brauen glätteten sich unverzüglich. Sie setzte die Brille wieder auf.
    »Sie kennen Achille? Na, wenn das so ist … Wir sind verlobt, wissen Sie.« Ein kokettes kleines Gackern.
    »Ja, ich weiß, er hat es mir anvertraut.«
    Das überraschte die Signora.
    »Tatsächlich? Er hat es Ihnen erzählt? Aber so etwas verrät man doch nicht jedem dahergelaufenen Fremden! Ein indiskreter Mensch.« Sie lächelte. »Aber auch nobel. Eine noble Seele. Beinahe so nobel wie mein erster Mann.«
    »Signor Scipione?«
    Sie fuhr hoch.
    »Wie? Das wissen Sie auch? Also wirklich, ich werde mit Achille sprechen müssen, er sollte doch etwas verschwiegener sein. Als Rezeptionist in dieser hochherrschaftlichen Pension! Ein Vertrauensposten.« Sie schüttelte den kleinen Kopf, die gewellten Haare flogen. »Ich glaube fast, er wird langsam dement.«
    Die gescheckte Katze hatte etwas gefangen, sie hielt es mit den Pfoten fest. Eine Grille? Eine Maus? Einen Maulwurf?
    Renata Ciaccoppoli setzte den Raben wieder in seinen goldenen Käfig und deutete auf das zweite Vogelhaus mit den beiden Wellensittichen auf der Fensterbank.
    »Romulus und Remus«, sagte sie. Sie stieß mich mit dem Ellbogen erstaunlich kräftig in die Seite. »Dabei sind es zwei Weibchen!« Von neuem das gackernde Lachen. »Natürlich vertragen sie sich nicht. Aber was soll man machen? Jetzt habe ich sie eben. Sie sind hübsch, nicht wahr?« Sie beugte sich zum Käfig hinunter. »Sehen Sie die kleinen blauen und schwarzen Fleckchen hier? Und die zitronengelbe Kehle? Wirklich niedlich. Inzwischen sind sie neun Jahre alt –

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