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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Hände auf die Augen. Rauhe Hände, die nach Holz, Rauch und säuerlicher Milch rochen. Ich unterdrückte einen Ausruf, ergriff die fremden Hände mit meinen, drückte sie von mir weg und drehte mich um. Florian starrte mich böse an. Er hatte eine ihm viel zu große, schmutzige, mit ehedem wohl weißem, jetzt aber fleckigem grauen Plüsch gefütterte Fliegermütze aus braunem Wildleder mit Ohrenklappen auf dem Kopf. Eine Klappe bedeckte ein Ohr, die zweite stand nach der Seite ab, was ihn komisch aussehen ließ, wie einen großen Hund mit einem abgeknickten Lauscher. Wider Willen musste ich schmunzeln.
    »Was ist, Florian?«, fragte ich. Ich hatte keine Angst vor ihm, dazu bestand kein Anlass. Florian war geistig zurückgeblieben, aber grundsätzlich gutartig und friedfertig, davon war ich überzeugt, selbst nachdem Stefan mir von seiner angeblichen Attacke auf meine Kusine Imelda berichtet hatte. »Was hast du denn? Du sollst mich nicht erschrecken, hörst du?«
    Der junge Mann trat auf mich zu und stieß mir wütend seinen Zeigefinger vors Gesicht. »Ida omen!«, sagte er. Den Rest des Wortschwalls, der sich über mich ergoss, verstand ich nicht. »Ida omen! Ida omen!«, wiederholte er zum Schluss mit Nachdruck.
    Ich erinnerte mich an das Versprechen, das ich ihm vor Monaten gegeben hatte, ohne es ernst zu meinen. Er hatte mich beim Wort genommen. Ich hatte nicht die mindeste Lust, mich an diese Zusicherung zu halten.
    »Ja, natürlich«, sagte ich beschwichtigend. »Natürlich kannst du wiederkommen, ich habe es dir ja versprochen. Aber jetzt nicht, jetzt habe ich keine Zeit für dich. Ein andermal.«
    Florian schüttelte finster den Kopf und trat noch näher an mich heran. Er riss mir den Schlüssel aus der Hand und presste mich grob gegen die Tür. Als ich merkte, dass er viel stärker war als ich und seine Kraft nicht unter Kontrolle hatte, wurde mir doch etwas beklommen zumute, und ich begann mich halbherzig zur Wehr zu setzen. In diesem Moment hörte ich jemanden weiter oben im Graben mehrmals Florians Namen rufen. Der Angerufene horchte auf, lockerte augenblicklich seinen Griff, und ich machte mich los und trat ein paar Schritte zur Seite. Da kam der Forstgehilfe um die Ecke gelaufen.
    »Florian! Geh sofort nach Hause!«, rief er, packte seinen Bruder am Kragen seines dunkelblauen Anoraks und stieß ihn auf den Weg. Ohne ein Wort zu sagen, gab Florian mir den Schlüssel und trottete mit gesenktem Kopf davon.
    »Er meint es nicht böse, ehrlich nicht«, sagte der Forstgehilfe, »es sind nur die Folgen seiner Krankheit, weißt du.« Er blickte mich beschwörend an. »Ich bitte dich, erzähl niemandem etwas von dem Vorfall! Die Leute im Dorf sind ohnehin schon gegen ihn aufgebracht, seit die junge Fux behauptet hat, dass er ihr – also, dass er sie sexuell bedrängt hat. Aber das ist nicht wahr! Auf diese farblose fromme Milchkuh hat es nicht einmal mein armer Bruder abgesehen!« Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Was ist, wenn sie tatsächlich erreichen, dass er in eine Anstalt gesteckt wird? Ohne mich kommt er nicht zurecht. Ohne mich geht er zugrunde!« Er schlug die Hände vors Gesicht.
    »Nein, nein«, sagte ich, »ich erzähle es nicht weiter. Keine Sorge.«
    Mir war die Lust vergangen, mich in der Mühle aufzuhalten, und ich ließ den Forstgehilfen stehen und ging den Weg zurück zu meinem grünen Polo, den ich am Waldrand abgestellt hatte. Als ich am Haus der beiden Brüder vorbeikam, sah ich Florians Kopf im Rahmen eines erleuchteten Fensters. Er hatte den Mund weit aufgerissen und die Nase an die Scheibe gedrückt.
    Zu dieser Jahreszeit wurde es sehr früh dunkel. Schon am Nachmittag holte Stefan die erste Flasche aus dem Keller, und wir betranken uns planmäßig und ohne Eile. Er trank mehr als sonst. Gegen zehn Uhr abends war er stark alkoholisiert. Normalerweise wurde er, so wie die meisten, zunächst redselig und etwas kindisch, danach eher reizbar und rechthaberisch und später rührselig und weinerlich. Diesmal aber sprach er, selbst nachdem er zwei Flaschen Wein und einige Schnäpse konsumiert hatte, weder unklar noch zusammenhanglos oder stockend, sondern artikulierte besonders deutlich, und sein Gesicht rötete sich nicht, es wurde blasser. Je mehr er trank, desto beherrschter schien er und desto starrer wirkte seine Haltung. Er wurde immer einsilbiger, saß schließlich schweigend auf der Eckbank und starrte reglos auf seine Unterarme und Hände, die vor ihm auf der Tischplatte

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