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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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Schoß, auf das aufgeschlagene Buch, auf Reginas Liste, und umfasste meine Taille. »Ich habe sie gehasst, Sissi«, sagte er mit monotoner Stimme. »Ich habe diese Frau gehasst.«
    Instinktiv setzte ich den Schaukelstuhl in Bewegung, wie eine Mutter, die ihr müdes, trauriges Kind in den Schlaf wiegen will. Ich streckte die Hand aus, beließ sie ein paar Sekunden über dem Kopf meines Freundes in der Schwebe, unschlüssig, und legte sie dann auf sein Haar.
    In der Nacht, die wir nach Stefans Eröffnung im einstigen Ehebett des einstigen Ehepaares König miteinander verbrachten, riss mich seine Lust mit sich fort. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er mich wirklich begehrte, keine Angst hatte, weder vor mir noch vor seinem eigenen Verlangen, dass er sich ganz auf mich konzentrierte und nichts und niemanden in Gedanken zwischen uns treten ließ. Er wagte es, aus sich herauszugehen. Ich verhielt mich passiv, fühlte mich mächtig, ganz als Frau. Die Barrieren, die Regina und unsere Erinnerung an sie errichtet hatten, waren gefallen. Ihre Herrschaft war zu Ende.
    Während des Frühstücks am nächsten Morgen beobachtete ich Stefan heimlich. Er wirkte gelöst und heiter, lachte viel, erwies mir kleine Gefälligkeiten, berührte mich ständig, leicht, doch voll Wärme und Intimität. Noch nie hatte ich mich so wohl und entspannt, so unbeschwert mit ihm gefühlt. Etwas Neues, Unverfälschtes war im Entstehen. Es spielte keine Rolle, ob all das, was man mir auf der Insel Procida hinterbracht hatte, der Wahrheit entsprach oder nicht. Regina war die falsche Frau für ihn gewesen, eine fatale Wahl. Die Vergangenheit war nicht mehr von Bedeutung.
    An diesem Sonntag fand ein Flohmarkt vor der Kirche statt. Der Erlös würde notleidenden Pfarrmitgliedern zugutekommen. Es war kalt und windig, aber da die Sonne schien, beschlossen wir hinzugehen. Die Auswahl war groß, es gab Kleidung aus zweiter Hand und gebrauchte Haushaltsartikel zu kaufen, Vasen, Geschirr, Porzellan, Besteck, Töpfe, Pfannen, alte Vinyl-Schallplatten, CD s, Videokassetten und DVD s, Bücher, Fotos, Poster und Gemälde, Bilderrahmen, abgenutztes Spielzeug, Werkzeug – alles Ausgediente, das die Leute nicht mehr brauchten, und darüber hinaus manches Neue. Auch Imbissbuden waren aufgestellt.
    Der Stand der Freiwilligen Feuerwehr war beeindruckend, Oberfeuerwehrmann Kienreich und Probefeuerwehrmann Jauk machten gute Geschäfte mit dem Verkauf alter Helme, Kappen, Kragenspiegel und Uniformen. Vor allem aber waren es ihre Abzeichen, Medaillen und Orden, Anstecknadeln und Plaketten, darunter viele aus den Jahren 1938 bis 1945, die guten Absatz fanden. Eine Medaille des Reichsnährstandes mit den eingravierten Worten Blut und Boden wurde angeboten, ein sternförmiger Schützenorden am grün-weißen Band, diverses Eichenlaub, goldkoloriert, etliche Frontflugspangen, Verdienstmedaillen des Sängerbundes. Bücher und Fotos aus dieser Zeit fanden gleichfalls ihre Käufer, auch Liederbücher mit Melodien, wie sie von den Mitgliedern der Schutzstaffel intoniert worden waren. Ein reichhaltiges Sortiment. Mein Großvater stand vor all den Kostbarkeiten und ließ sinnend eine ovale Medaille am Band durch seine Finger gleiten. Als er mich sah, winkte er mich zu sich.
    »Gut, dass du hier bist, Sissi«, sagte er. »Du hast studiert. Was meinst du, sind zwanzig Euro nicht zu viel für dieses Stück?« Er wandte sich an den Oberfeuerwehrmann. »Das sind Wucherpreise, Kienreich!«
    »Hier handelt es sich um ein Sammlerobjekt«, sagte der Oberfeuerwehrmann ungerührt. »Dafür werden Liebhaberpreise bezahlt. In Wien kostet es das Vierfache.«
    »Genau«, sagte Probefeuerwehrmann Jauk. »Wenn nicht mehr.«
    Ich sah mir die Medaille an. Sie war aus Messing, wie mir schien. Blank die Wehr, rein die Ehr , stand darauf zu lesen. Mein Großvater sah mich unsicher an.
    »Was dir das Stück wert ist, musst du schon selbst wissen«, sagte ich.
    »Genau«, sagte Probefeuerwehrmann Jauk. »Diese Entscheidung kann ihm niemand abnehmen.«
    »Du bist mir wirklich keine Hilfe«, sagte der Großvater missvergnügt. »So wie dein Vater. Der war mir auch nie eine. Dort drüben steht deine Großmutter, sei so freundlich und begrüße sie.«
    Ich sah mich nach Stefan um. Er unterhielt sich mit meiner Tante Dagmar, die, wie es aussah, ziemlich ramponierte alte Puppen feilbot. Gleich neben der Feuerwehr hatte die Kirche ihren Verkaufsstand, gewissenhaft betreut von meiner Kusine Imelda mit dem

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