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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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auf.
    »Also, ich gehe jetzt«, sagte ich.
    »Recht hast du«, sagte der Großvater, legte den Kopf auf das bestickte Deckchen, das die Rückenlehne schonte, und schloss die Augen.
    Als ich Stefan das nächste Mal besuchte, war es Anfang Dezember. Ich kam gegen Abend an, der Sonnenuntergang war spektakulär, blutrote Wolkenmassen zogen tief über dem Horizont dahin. Am Samstagmorgen lag Reif auf den Wiesen, den dunklen Schollen der Äcker wie ein weißlicher Schleier. Die Bäume und Weinstöcke waren mit Frostnadeln gespickt, eine schwarzweiße, gespenstische Landschaft, die im Lauf des Vormittags wieder Farbe annahm. Die Luft war scharf, der Wind trieb einem die Tränen in die Augen.
    Über dem großen quadratischen Tisch in der Stube meiner Großeltern, denen ich die obligate kurze Anstandsvisite abstattete, hing ein Adventkranz von gewaltigen Ausmaßen mit voluminösen violetten Schleifen. Von den vier dicken gelben Kerzen war eine ein Stück niedergebrannt.
    »Wie man hört, bist du schon bei unserem Doktor König eingezogen. Mit Sack und Pack. Du scheinst es eilig zu haben«, sagte meine Großmutter spitz und stellte, wie bei jedem meiner Besuche, einen mit fettigem Speck und geräucherten Würsten nebst weiteren deftigen südsteirischen Leckerbissen angehäuften Teller vor mich hin. Und wie bei jedem meiner Besuche rührte ich kaum etwas davon an, wofür ich normalerweise entsprechend gerügt wurde. Diesmal aber unterließ meine Großmutter die üblichen Maßregelungen, sie hatte Wichtigeres auf dem Herzen. »Na ja, schließlich bist du nicht mehr die Jüngste, das stimmt«, fuhr sie fort und strafte mich mit einem leicht verächtlichen Blick. »Zaundürr und ellenlang obendrein. Dass unser Herr Doktor König sich für dich erwärmt, ist, genau genommen, ein unerhörter Glücksfall. Du solltest täglich ein Dankgebet zu unserem Herrgott sprechen. Oder zwei.« Sie seufzte. »Caspar würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass dir sein Erbe vollkommen gleichgültig ist.« Sie stützte die dünnen Arme auf die breiten Hüften und erhob die Stimme. »Wann hast du die Mühle zum letzten Mal betreten, frage ich dich! Ginge es nach dir, sie wäre binnen kürzester Zeit komplett verfallen. Gottlob haben deine Tanten und ich mehr Familiensinn. Wenn schon du dich um nichts kümmerst, wir halten das geliebte alte Heim deines Vaters in Ehren!«
    Meine Großmutter hatte ausnahmsweise recht. Im Prinzip. Aber ich fand es so viel angenehmer, mich im Winzerhaus auf der Kuppe des Hügels aufzuhalten, mit dem hohen Himmel darüber, dem weiten Ausblick nach allen Seiten, als in der alten Mühle tief im Graben, im Schatten. Ich hatte Mühlen immer als unheimlich empfunden. In den Märchen und Sagen, die ich in meiner Kindheit gehört und gelesen hatte, war häufig die Rede von Teufelsmühlen gewesen, von Mühlsteinen, die sich nachts mit Getöse drehten, ohne dass jemand sie in Bewegung gesetzt hätte, von habgierigen Müllern, die unter Bergen von gemahlenem Weizenkorn erstickten. Auch erinnerte ich mich noch an den von innen erleuchteten und später wie von Geisterhand mit der Axt gespaltenen Kürbis vor der Mühle meines Vaters. Emma hatte mich mit ihrer Furchtsamkeit angesteckt. Dennoch beschloss ich, meiner Großmutter keinen weiteren Grund zur Klage zu geben und die Mühle sogleich aufzusuchen.
    »Dass ich nie in der Mühle bin, stimmt nicht. Ich übernachte manchmal im ersten Stock«, log ich. »Gerade jetzt bin ich auf dem Weg dorthin, um ein bisschen nach dem Rechten zu sehen.«
    Plötzlich meldete sich der Großvater, der in seiner Ecke schlief, zu Wort. »Wer’s glaubt, wird selig«, sagte er mit geschlossenen Augen. »Steht in der Bibel, nicht wahr, Toni? So ähnlich jedenfalls.«
    »Markus, Kapitel 16, Vers 16«, zitierte die Großmutter wie aus der Pistole geschossen.
    Obwohl die Ebereschen, die Holundersträucher, die Erlen am Bachufer inzwischen keine Blätter mehr hatten, war es dunkel im Wald, auf dem Pfad, der zur Mühle hinunterführte. Dunkel, feucht und kalt. Es herrschte tiefe Stille. Im Haus des Forstgehilfen, an dem ich rasch vorüberging, brannte Licht. Kurz bevor ich zur Mühle gelangte, hörte ich hinter mir gedämpfte Tritte, ein Stolpern, leises Knacken. Erschrocken wandte ich mich um, doch niemand war zu sehen. Es musste ein Tier gewesen sein, das diese Geräusche verursacht hatte. Als ich im Begriff war, den großen eisernen Schlüssel ins Schloss zu stecken, legte mir jemand von hinten die

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