Die Unzertrennlichen
vorüber zu sein schien? Das Vertrauen, das wir so langsam und zögernd zueinander gefasst, das Gefühl der Zuversicht, das wir so zaghaft und vorsichtig entwickelt hatten, beides war mit einem Schlag zerstört – zumindest, was mich betraf. Nun konnte ich die Einsichten, die ich auf der Insel gewonnen hatte, nicht mehr beiseiteschieben, ignorieren, verdrängen, die Begebenheiten, denen ich auf die Spur gekommen war, nicht mehr als Hirngespinste abtun. Nach der Entdeckung des aus Neapel stammenden Schmuckstücks auf dem Flohmarkt im Sausal war das nicht länger möglich.
Plötzlich war mir kalt, es schauderte mich, obwohl die Heizung mittlerweile auf Hochtouren lief.
11
Nicht ganz zwei Wochen später rief mich meine Großmutter an. Als ich ihre Stimme hörte, erschrak ich, denn sie meldete sich nur sehr selten telefonisch, und im Allgemeinen bedeutete ein solcher Anruf nichts Gutes. Meine Großmutter, die Hexe, war eine passionierte Überbringerin schlechter, oftmals katastrophaler Nachrichten. Sie sparte sich die üblichen Begrüßungsfloskeln und kam gleich zur Sache.
»Es ist etwas Grauenvolles passiert!«, schrie sie mir ins Ohr, sodass ich zusammenfuhr. Ich hielt den Hörer etwas weiter weg. »Stell dir vor, man hat eine Leiche im Fuchsweiher gefunden! In einem verheerenden Zustand, unkenntlich, man weiß nicht einmal, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Sie muss eine Ewigkeit im Wasser gelegen sein, diese Leiche. Eine Tragödie, Sissi, eine Tragödie! Wie steht unser Dorf da? Wie stehe ich da? Wie stehen wir da? Als eine Gemeinschaft von mutmaßlichen Selbstmördern – oder gar Verbrechern! An einen Unfall glaubt doch keiner, dieser unheimliche Weiher mitten im Wald ist die ideale Stelle für einen Freitod oder, noch besser, für einen Mord. Kein Mensch käme auf die Idee, darin zu schwimmen, das Wasser ist schwarz und schlammig. Ekelerregend!« Ich konnte geradezu sehen, wie es meine Großmutter schüttelte. Sie senkte ihre Stimme zu einem angestrengten Flüstern. »Ich sage dir, Sissi, der Ort ist verhext, davon bin ich überzeugt. Man spürt es körperlich, sobald man in die Nähe kommt.« Dann fuhr sie wieder in ihrem normalen, seit dem Trommelfellriss infolge des Blitzunfalls überlauten Tonfall fort. »Übrigens ist der Teich der Lieblingsplatz von Florian, du kennst ihn ja – der geistig umnachtete Bruder von Felix Temmel, dem Forstgehilfen. Er treibt sich ständig dort herum, hockt im Röhricht, sodass man ihn kaum sieht, und starrt stundenlang ins Wasser, hat die Leni Dirnböck gesagt. Tagelang. Und die Dirnböck muss es wissen, sie geht viel im Wald spazieren.« Die Großmutter hielt inne. »Sissi, ich habe ein sehr ungutes Gefühl«, sagte sie dann. In ihrer Ausdrucksweise lag zu gleichen Teilen falsche Besorgnis und Sensationslust. »Höchst ungut. Du weißt, ich habe den sechsten Sinn. Manche Menschen sind damit gesegnet – oder geschlagen, wie man es nimmt. Ich habe ihn jedenfalls von meiner Mutter, deiner Urgroßmutter, geerbt, mir blieb keine Wahl. Es liegt in der Familie. Dir wurde die Gabe leider nicht zuteil – oder zum Glück, das ist Ansichtssache. Jedenfalls hast du keinerlei Verbindung zum Übersinnlichen. Na ja, in deinem Beruf wäre das auch nur hinderlich. Und damit –«
Ich beschloss, meine Großmutter kurzerhand zu unterbrechen.
»Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte ich.
Die Großmutter schwieg, verblüfft über diese ungebührliche Zwischenfrage meinerseits. Dann atmete sie tief ein. Wenn ich mich nicht irrte, bedeutete dies, dass sie zu einer längeren Erklärung ausholte, die atemtechnisch bewältigt werden wollte.
»Es war so«, begann sie. »Der Jakob Zirngast, der Enkel der Kusine zweiten Grades deines Großvaters, der seit drei Jahren mit der Susi Strohmaier zusammen ist, der Tochter des Fahrdienstleiters, neigt zur Melancholie, wie dir sicher bekannt ist.«
»Klar«, sagte ich, der Einfachheit halber. Denn es war mir nicht bekannt, ich hörte zum ersten Mal vom offenbar nicht ungetrübten Glück der beiden jungen Menschen.
»Eine unselige Veranlagung«, fuhr sie fort, »er ist nicht der Einzige in der Familie, der davon betroffen ist. Außerdem trinkt er und ist ein Raufbold. Kein Wunder, dass die junge Strohmaier – ein bildschönes Kind, das muss man ihr lassen – allmählich zugänglicher wird für die Annäherungsversuche der anderen Burschen im Dorf. Unglücklicherweise ist der Jakob auch noch krankhaft eifersüchtig, eine Eigenschaft,
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