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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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keine gute Idee zu sein. Mit Sicherheit war die Polizei schon dort gewesen und hatte sie von dem schrecklichen Unfall unterrichtet. Wie sollte sie ihren Pflegeeltern denn nach allem, was geschehen war, gegenübertreten? Wie konnte sie Mrs. Quilp in die Augen sehen und ihr von dem berichten, was sie getan hatte? Es gab keine andere Lösung.
    Nur Marylebone.
    So stand sie schließlich erschöpft vor meinem Anwesen. Mit zerrauftem Haar und wirrem Blick, die getrockneten Tränen eisig auf den bleichen Wangen. »Ich habe sie umgebracht«, stammelte sie, und es kostete mich etwa fünf Minuten zu erfahren, was genau geschehen war.
    »Wir werden eine Lösung finden«, versprach ich ihr.
    Es gab immer einen Ausweg.
    Nun ja, meistens.
    Aber war ich selbst nicht erst vor wenigen Stunden dem Höllenschlund entstiegen? Hatte ich nicht dem langsamen Tod eines Engels und der Wiedergeburt der Lichtlady beigewohnt? War dies nicht London, die Stadt der Schornsteine am dunklen Fluss, in der alles möglich war?
    »Niemals habe ich das gewollt!«, heulte Emily.
    Zusammengesunken saß sie in dem Sessel neben dem Kamin. Die lodernden Flammen spiegelten sich in dem Auge aus poliertem Mondstein.
    »Wir können es nicht ungeschehen machen.«
    Weshalb hätte ich lügen sollen?
    Dann rief ich im Savoy an.
    Vereinbarte das Treffen für den kommenden Tag.
    Das nächste Telefonat gestaltete sich weitaus komplizierter.
    »Bitte sprechen Sie mit ihnen«, bat mich Emily.
    Ein Wunsch, dem ich nachkam.
    Wenngleich sich dieses Telefonat sehr kompliziert gestaltete, aber das erwähnte ich bereits.
    »Sie ist bei Ihnen, Gott sei Dank. Geht es ihr gut? Was ist denn nur passiert? Die Polizei war hier.« Im Hintergrund flüsterte jemand. Weinerlich. »Meine Frau ist untröstlich. Das arme, arme Kind.« Bevor ich mich fragen konnte, wen Mr. Quilp damit meinte, ging es weiter. »Aurora, ach nein. Wenigstens geht es Emily gut. Kann sie heute bei Ihnen bleiben?« Natürlich konnte sie das. »Wir kommen dann morgen vorbei.« Emily, die lauschte, schüttelte panikartig den Kopf. »Sie möchten sich ihrer auch morgen noch annehmen? Ja, ich denke, das ist in Ordnung. Ach ja, die Polizei möchte das Mädchen befragen. Sie kümmern sich darum?« In der Tat war dies ein anstrengendes Telefonat, wenngleich ich selbst nur wenig sprechen musste. »Das arme Kind«, wiederholte Mr. Quilp, und im Hintergrund jammerte Mrs. Quilp erneut Unverständliches. »Ihr Zimmer ist so gemütlich, wissen Sie?« Fragend warf ich einen Blick auf Emily, die den Kopf schüttelte und ein Gesicht zog. Wieder das Getuschel im Hintergrund. »Wir wissen noch gar nicht, wie wir damit fertig werden sollen.« Und so weiter und so weiter und so weiter. Nach zehn Minuten knallte ich entnervt den Hörer auf die Gabel und machte dem Mädchen und mir eine Tasse Tee.
    Während das Wasser kochte, fragte ich mich, ob Mr. und Mrs. Quilp wirklich der richtige Umgang für das Kind waren. Die beiden waren zweifelsohne besorgt liebende Pflegeeltern. Darüber hinaus jedoch ein wenig angestaubt – höflich ausgedrückt.
    »Es sind gute Menschen«, hatte Peggotty einmal gesagt.
    Doch Peggotty war selbst ein guter Mensch. Und war es nicht eine Eigenheit guter Menschen, selbst den abscheulichsten Pöbel ebenfalls mit dem Attribut »guter Mensch« zu versehen?
    »Der Tee wird Ihnen gut tun.«
    Dankend nahm Emily die Tasse entgegen.
    Schlürfte missmutig daran.
    Als sie etwas sagen wollte, gebot ich ihr zu schweigen. »Genießen Sie den Tee.«
    Sie nickte nur.
    Schaute nachdenklich nach draußen in die Nacht hinaus. Nur vereinzelt schwebten Schneeflocken in der Luft, Vorboten der kommenden Tage. Nicht weit von meinem Anwesen entfernt, das wusste Emily, befand sich Manderley Manor, wo die kleine Mara sich ebenso verloren und einsam fühlte wie ihre ältere Schwester.
    »Werden Sie mich irgendwann dorthin bringen?«
    Ich wusste, was sie meinte.
    Und gab ihr eine ehrliche Antwort: »Fragen Sie nicht. Nicht jetzt.«
    Niedergeschlagen sah Emily erneut zum Fenster hinaus.
    »Letzte Nacht«, flüsterte sie, »träumte ich, ich wäre in Manderley Manor.«
    Ich begegnete ihrem Blick und schwieg.
    Nachdem wir den Tee getrunken hatten, erkundigte sich Emily erstmals nach dem, was mir während der letzten beiden Tage – für Emily und Aurora waren seit unserem Aufbruch in die uralte Metropole zwei Wochen vergangen – widerfahren war. Alles sollte ich ihr erzählen.
    »Schlafen kann ich sowieso nicht.«
    Besorgt stellte ich

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