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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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werden unsere Eltern niemals finden, stimmt’s?«
    »Dafür haben wir uns wiedergefunden.«
    »Ja.« Emily lächelte mit Tränen in den Augen.
    »Und wir werden das hier gemeinsam durchstehen«, versprach ihr Aurora. »Was da auch immer kommen mag.«
    Leise, fast ehrfürchtig flüsternd wiederholte Emily diese Worte, als seien sie Bestandteil einer Zauberformel. »Was da auch kommen mag.« Und drückte die Hand ihrer Freundin, die sie nie mehr loslassen wollte.

Kapitel 4
Die uralte Metropole
    Die Expedition startete in den wolkenverhangenen Morgenstunden des kommenden Tages.
    Die müden und gelangweilten Passanten warfen unserer kleinen Gruppe abfällige Blicke zu. Maurice Micklewhite, elegant gekleidet in seinem schneeweißen Pelzmantel und den ebenfalls weißen Stiefeln, führte uns an. Ihm folgten Emily und Aurora, beide in dicken, warmen Jacken mit Pelzkragen, die wir ihnen am Vortag bei Marks & Spencer drüben am Piccadilly erstanden hatten. Das Schlusslicht bildete ich selbst, die Augen wachsam in die Dunkelheit des anbrechenden Tages vergraben.
    »Weshalb sind Sie so vorsichtig?«, wollte Emily wissen.
    »Wölfe.«
    Nur dieses eine Wort.
    Aurora schaute sich ängstlich um. »Hier?«
    Wir überquerten die stark befahrene Harewood Avenue. Die Abgase der vorbeitorkelnden Wagen nebelten Figuren in die eisige Luft. Die Stadt erwachte zum Leben. Geschäftsleute wuselten mit ihren Aktentaschen die Gehsteige entlang, Autos hupten wütend, Lieferwagen entluden ihr Gut vor den Geschäften und Restaurants im Viertel. Wie wahrscheinlich kam es einem zwölfjährigen Mädchen wohl vor, in dieser vertrauten Umgebung Wölfe zu vermuten?
    »Man weiß nie, wo sie stecken.«
    Dann sahen wir das Schild.
    Ein roter Kreis, der eine weiße Innenfläche umrahmt, durchbrochen von dem horizontalen Querbalken.
    Marylebone.
    Die hiesige U-Bahn-Station.
    »Dort«, kommentierte Maurice Micklewhite, »geht es hinab.«
    Ohne sich nach den Mädchen umzudrehen, ging er seines Weges. Wir folgten ihm.
    Ein lauer Wind blies in unsere Gesichter, als uns die Rolltreppe durch den langen, schräg abfallenden Tunnel nach unten zu den Bahnsteigen brachte.
    »Es riecht bereits nach der uralten Metropole.« Maurice Micklewhite atmete tief durch.
    »Es riecht muffig«, antwortete Emily.
    Unwillkürlich musste ich ob dieser Bemerkung lächeln.
    »Die uralte Metropole erstreckt sich über das gesamte Stadtgebiet Londons. Die meisten Ortschaften kann man mit der U-Bahn erreichen. Immerhin haben wir ein Streckensystem vor uns, das insgesamt zweihundertfünfundsiebzig Stationen bedient.«
    »Auf vierhundertfünfzehn Meilen«, rief Maurice nach hinten.
    »Müssen wir weit nach unten?«, fragte Aurora.
    »Die tiefste Station ist Hampstead. Achtundfünfzig Meter unterhalb der Oberfläche liegt sie.« Während ich mir den Schal enger um den Hals wickelte, eilte ich weiter. »Die uralte Metropole, meine Liebe, liegt ein ganzes Stück darunter.«
    Wir erreichten den Bahnsteig.
    Der lauwarme Wind kündigte einen nahenden Zug an. Sekundenbruchteile später schoss die abbremsende Tube in den Bahnhof und füllte die Luft mit dem typischen Rauschen.
    »Eine GEC Alsthom Metro-Cammell, Baujahr 1996«, kommentierte der Elf.
    Ein klobiges, hässliches Ding mit äußerst kleinen Fenstern. Zu neumodisch für meinen Geschmack.
    »Die nehmen wir.«
    Schon war Maurice Micklewhite in den Zug gesprungen.
    Wie immer war die Tube heiß und stickig. Zum Bersten angefüllt mit Menschen, die sich auf der holprigen Strecke bereitwillig durchschütteln ließen. Viele von ihnen nahmen ihre Umwelt kaum mehr zur Kenntnis, weil sie sich daran gewöhnt hatten, dem pulsierenden Strom des Berufsverkehrs anzugehören.
    Bereits in Paddington verließen wir die Alsthom.
    »Bald sind wir da.«
    Eiligen Schrittes durchquerten wir ein lang gezogenes, gekacheltes und mit den Musicalreklamen aus dem Westend plakatiertes Tunnellabyrinth, um letztendlich die District Line zu besteigen, die uns westwärts brachte zum Earl’s Court.
    Hier würde der eigentliche Abstieg beginnen.
    »Am Earl’s Court befinden sich Triangle Sidings«, erklärte ich den beiden Mädchen, während Maurice Micklewhite in einem der am Bahnhof ansässigen Fast-Food-Tempel ein McBreakfast organisierte.
    Aurora hatte offenbar nicht die geringste Ahnung, wovon ich sprach. »Sidings?«
    »Abstellgleise, Nebengleise«, erklärte ich geduldig. »Die Sidings sind über das ganze Netzwerk der U-Bahn verteilt. Sie dienen dem Abstellen

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