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Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas

Titel: Die uralte Metropole Bd. 1 - Lycidas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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gleich.«
    Die Rattlinge waren die Augen und Ohren des Nyx. Er gebar sie in den Hautblasen, ließ sie dort heranwachsen, und sobald sie schlüpften, krochen sie nach oben, kletterten die Abgründe hinauf und drangen in die Hölle und die uralte Metropole vor. Ja, sie waren seine Augen und Ohren, aber eigentlich waren sie nur Teile eines einzigen riesenhaften Sinnesorgans, das wir als Abgrund bezeichnet hatten.
    »Es existiert ein Abgrund in Pairidaezas Kathedrale«, sagte Aurora.
    Durch diesen Abgrund waren die beiden Kinder dem Tunnelstreicher gefolgt.
    »Der Nyx«, erklärte Lycidas, »will Pairidaezas Stock in seine Gewalt bringen.«
    Aus diesem Grunde also hatte er die Rattlinge in die Hölle beordert. Sie sollten die Wurzeln des Lebensbaums vom Boden lösen und ihn dann mit sich in den Abgrund ziehen, wo ihn der Nyx hätte verschlingen können.
    »Der Nyx«, fuhr der Lichtlord fort, »war derjenige, der einst die Menschheit verführt hat. Der Nyx war die Schlange, von der die Schriften der Menschen künden. Er hatte geglaubt, die Menschen vergiften zu können, aber letzten Endes machte er sie nur wissend. Doch wie schlimm kann Wissen sein, wenn es dem Wissenden keinen Gewinn bringt? Der Nyx hatte sich all die Jahre von den Früchten des Wissens nähren können. Hass. Missgunst. Eitelkeit. Doch hat er selbst niemals Früchte vom Baum des Lebens gekostet. Der Träumer hat ihn verbannt und tief in die Erde geschmettert, und so hat er seit Anbeginn der Zeit versucht, Macht über Pairidaezas Stock zu erlangen, um die Kräfte des Baumes für sich zu nutzen. Denn der Nyx, das sollten Sie wissen, ist uralt. Er ist ein Wesen, dessen Kräfte nachlassen. Und letzten Endes will er das, was wir alle wollen. Er will nicht sterben.«
    Die Vorstellung, sich in einem Sinnesorgan des Nyx zu befinden, war seltsam absurd.
    Doch straften die Dinge, die wir sahen, jedwede andere Behauptung Lügen.
    »Die meisten Rattlinge«, schilderte ich dem blinden Mädchen, »sind tot.«
    Jedenfalls jene, die sich hier im Abgrund befunden hatten.
    Überall lagen ihre leblosen Körper herum. In ihrer Mitte kauerten hungrige Limbuskinder, die sich an den toten Rattlingen labten. Durch den Abgrund in Pairidaezas Kathedrale waren sie hierher gekommen und hatten auf ihrem Weg nach unten sowohl die lebendigen Rattlinge als auch ihre ungeborenen Artgenossen angegriffen. So hatten sie Lycidas den Rückhalt gegeben, den dieser brauchte, um seinen Plan in die Tat umzusetzen.
    Jenen Plan, zu dem all die Kinder mit den Spiegelscherbenaugen nach unten in die Tiefe gezogen waren. Dem Lichtlord waren sie gefolgt auf diesem Kinderkreuzzug, hatten sich überall am Boden des Abgrunds verteilt, bevölkerten nunmehr die langen, atmenden Korridore, die der Nyx waren, und warteten auf das, was nicht kam. Auf das, was vor Augenblicken nur kurz aufgeblitzt und dann wieder erloschen war.
    »Sie warten auf das Licht«, sagte Lycidas. »Mein Licht.«
    Resigniert klang er.
    Und wenn Emily ihn hätte sehen können, dann hätte sie sein Verzagen verstanden.
    Lycidas hatte auf dem Boden inmitten des Raumes gekauert, als wir zu Bewusstsein gekommen waren. Kraftlos und resigniert. Das Haar zerzaust. Niedergeschlagen. Schnell war sein Atem gegangen. Dinsdale, der als Erstes den großen Hohlraum erreicht hatte, schwebte vor dem Lichtlord und zauberte flink umherspringende Schatten auf dessen Antlitz. Nachdenklich hatte der Lichtlord das Irrlicht beobachtet, war jeder seiner Bewegungen gefolgt.
    Mr. Fox und Mr. Wolf standen am Rand des Raumes.
    Stumme Zeugen der Geschehnisse.
    Dann hatte sich Lycidas erhoben und war uns entgegengetreten. Mit festem Blick, in dem man jedoch die Zweifel und die Furcht erkennen konnte. Zweifel bezüglich seiner Person und Furcht vor dem, was geschehen würde, sollte sein Plan zum Scheitern verurteilt sein.
    »Es ist Licht, das wir benötigen.« Er brachte es auf den Punkt.
    Emily ging auf die Stimme zu.
    »Wo ist Mara?«
    Es war Maurice Micklewhite, der es ihr sagte. »Sie befindet sich im Nyx.«
    In dem großen Haus, das Emily sich vorgestellt hatte, da war Mara bereits in der großen Halle mit der gewundenen Treppe gewesen. Sie musste also hier in diesem Raum sein. Irgendwo. Sie hatte von Anfang an hier sein müssen, denn dieser Raum war das Gegenstück zur großen Halle in dem Manderley Manor ihrer Imagination.
    »Sie befindet sich in einer der Blasen.« Das war Aurora.
    Zögerlich ergriff sie Emilys Hand, die dankbar lächelte, als sie die

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