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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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befindet sich dort, wo der Boulevard Saint Michel in den Boulevard Saint Germain mündet. So viele Heilige, dachte Emily unzusammenhängend.
    Dann stand sie vor der breiten Treppe, die in die Unterwelt hinabführte. War nicht eine U-Bahn wie die andere?
    Lady Mina, die den Steinstaub der herannahenden Gargylen witterte, drängelte:
Dort unten werden wir uns vor ihnen verstecken können.
    So begann Emily Laing an einem Wintertag und nicht lange vor Weihnachten ihren Abstieg in die Eingeweide der Cité lumière. Hoffend, ihren Verfolgern entkommen zu können. Und nicht ahnend, was sie dort unten vorfinden würde.

Kapitel 5
Métro

    Als Emily am nächsten Morgen erwachte, rieb sie sich müde die Augen, und der Clochard, der auf der Bank neben ihr übernachtet hatte, begrüßte sie freundlich auf Französisch, raffte seine Plastiktüten zusammen, klemmte sich die halb leere Weinflasche unter den übel riechenden Arm und zog mit einem Kopfnicken und einem erneuten Schwall französischer Worte von dannen. Lady Mina, die zusammengerollt in Emilys Armbeuge geschlafen hatte, blinzelte dem Neonlicht entgegen. Die ersten Passanten füllten den Bahnsteig und warfen dem Mädchen mit der Rättin ungehaltene Blicke zu, die Emily nicht unbekannt waren. Ziemlich zerrupft musste sie aussehen nach dieser Nacht, in der sie kaum ein Auge zugetan hatte.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    Lady Mina nickte.
Die Menschen machen mich nervös
.
    »Dies ist nicht London.«
    Ich weiß.
    Niemand achtete auf die Rättin, die ruhig dasaß und versuchte, die Aufmerksamkeit der Menschen nicht auf sich zu ziehen.
    In Paris sind die Ratten noch nicht geächtet.
    Nein, dachte Emily, noch nicht.
    »Dafür gibt es Fegefeuer und Gargylen, die einem nachstellen.«
    Sie setzte sich seufzend auf.
    Alles hier unten schien anders zu sein als in London, das war ihr bereits vergangene Nacht aufgefallen.
    Schon allein die Art-Nouveau-Eingänge mit ihren spielerischen pflanzlichen Formen wirkten freundlicher und schienen den Fahrgast förmlich zu umwerben, um ihm den Abstieg in die Unterwelt zu versüßen. Einprägsame, von Pflanzen und Tierskeletten und ägyptischen Hieroglyphen inspirierte Dekorationen prägten das Bild der labyrinthischen Gänge, die allesamt weiter und größer und länger zu sein schienen als ihre Gegenstücke in London. Alles wirkte sauberer und verlässlicher, kühler und irgendwie abgedichtet. Wasserflecken suchte man vergebens, ebenso fand man weder abgeplatzte Kacheln noch ausgefallene Leuchtkörper. Wo die Underground alt und eng wirkte, erstrahlte die Métro in kühlem künstlichen Glanz und so weiträumig, dass man niemals das Gefühl hatte, erdrückt zu werden. Kunstvolle Signaturen illustrer Studenten bedeckten die in hellem Gelb gestrichenen Wände und erinnerten Emily an die Sommertage in den Parks von London.
    Selbst die Luft roch anders als in der uralten Metropole. Ein Parfum, so sagte man, wurde der künstlich zirkulierenden Luft beigemischt, um den typischen Eigengeruch der Métro zu überspielen. Düfte, die vage an Frühlingswiesen erinnern sollten, überdeckten das Gemisch aus Schmieröl, erhitzten Bremsen, heißem Gummi, Schimmel und Urin.
    In London
, hatte Lady Mina bemerkt,
ist die Luft frischer
.
    Was immer eine Rättin darunter verstehen mochte.
    »Immerhin sind die Gargylen verschwunden.«
    Die Métro-Station hatten die steinernen Ungeheuer anscheinend nicht betreten wollen. Vielleicht hatten sie auch die Witterung verloren, wer konnte das schon mit Gewissheit sagen?
    Emily und Lady Mina jedenfalls waren durch die Gänge der Métro-Station gelaufen, um den letzten Zug zu erwischen, den sie prompt verpasst hatten.
    Kurz darauf waren die Gittertüren für die Nacht geschlossen worden. Gefangen in der Station Cluny La Sorbonne, hatte sich Emily schnell mit ihrem Schicksal abgefunden und getan, was in ihrer Situation wohl das Beste gewesen war: sich einen Platz für die Nacht gesucht und geschlafen.
    »Ich habe von Aurora geträumt«, gestand Emily ihrer Begleiterin. »Von einem weißen Raum mit Neonröhren an der Decke und Dr. Dariusz.«
    Vielleicht
, überlegte Lady Mina,
war es eine Trickster-Erfahrung.
    »Es waren Auroras Eindrücke und Gedanken«, gab Emily verwirrt zur Antwort, »die ich geträumt habe.« Gedanken, die keinen Sinn ergaben. Gedanken, die schon Irrsinn gleichkamen.
    Dann war es vorbei gewesen.
    So schnell, wie es gekommen war.
    »Sie ist noch am Leben.« So viel jedenfalls schien sicher zu

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