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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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. Als Emily den Blick hob und den Jungen sah, der gerade seine Gitarre gegen die Wand stellte, da erinnerte sie sich daran, dass es keine Zufälle geben konnte.
    »Du schon wieder!«
    Die Überraschung in der Stimme des Jungen, dessen Aussehen deutlich davon kündete, wie sehr er Bob Dylan verehrte, war kaum zu überhören. Ungläubig starrte er Emily an, die soeben unabsichtlich gegen die Blechdose, die bis vor wenigen Augenblicken noch voller Münzen und einiger weniger Scheine gewesen war, getreten hatte.
    Emily fühlte sich, als habe sie gerade Brick Lane Market betreten.
    Sie kniete auf dem Boden.
    Lady Mina war ihr aus der Manteltasche gerutscht.
    Die Blechdose rollte lautstark zur gegenüberliegenden Wand.
    Beide – der Junge und Emily – starrten einander nur an.
    Tiefdunkle Augen, in denen Emily hätte versinken können, betrachteten das Mädchen mit den roten Haaren und dem Mondsteinauge, das sich schuldbewusst und irgendwie hilflos in Schweigen hüllte und nach Luft schnappte.
    »Wir kennen uns doch«, sagte der Junge.
    Emily fand die Sprache wieder. »Brick Lane Market. London.«
    Der Junge musste grinsen.
    »Du hast ein Problem mit Blechdosen, wie es aussieht.«
    »Tut mir Leid.«
    Sie sahen einander an.
    Dann schien der Blick des Jungen von etwas abgelenkt zu werden.
    Emily stand auf.
    Ihr Knie schmerzte.
    Sie sah, wie der Junge schnell etwas aus der Hosentasche hervorzog und es ihr reichte. »Hier«, sagte er, und als Emily den Zettel, der ein Fahrschein war, ergriff, da berührte sie für einen winzigen Augenblick den Finger des Jungen, den ein silberner Ring zierte. »Überlass das Reden besser mir«, schlug der Junge vor, und als der Kontrolleur sie erreichte, redete der Junge auf ihn ein, und Emily zückte ihren Fahrschein, worauf der Kontrolleur nach einigen Worten, die alles andere als freundlich klangen, von dannen zog, jedoch nicht, ohne Emily einen überaus ernsthaften und tadelnden Blick zuzuwerfen.
    Dann machte sich Emily daran, die Geldstücke aufzulesen und in die Blechdose zurückzulegen. Der Junge tat es ihr gleich, und Lady Mina hockte neben der Gitarre und sah den beiden beim Aufsammeln der Almosen zu.
    »Danke«, sagte Emily. »Ehrlich.«
    Sie reichte dem Jungen die Blechdose.
    »Diese RATP-Typen sind eine Plage.«
    »Ich weiß.«
    »Tja.«
    Ein Moment des Schweigens.
    »Das mit der Blechdose tut mir Leid.«
    »Dumme Dinge passieren eben manchmal«, antwortete der Junge und betrachtete Lady Mina, die an Emilys Hosenbein und Mantelsaum hinaufkletterte. »Ist das deine Ratte?«
    »Lady Mina ist ihr Name.«
    Er verbeugte sich kurz. »Hallo, Lady Mina.«
    Die Rättin piepste.
    »Hallo, zurück«, übersetzte Emily.
    Dann stellte sie sich vor.
    »Was tust du hier in Paris?«
    »Ich habe mich verlaufen.«
    Der Junge, der abgewetzte Bluejeans trug, nickte nur.
    Streckte die Hand aus.
    Lächelte.
    »Ich bin Adam«, sagte er. »Adam Stewart.«
    Und mit einem Mal war die fremde Welt ein schöner Ort geworden.

Kapitel 6
Subterranean Homesick Blues

    »Kann ich dir vertrauen?«, fragte Emily den Jungen mit dem zerwuschelten Haar und der blauen abgewetzten Seemannsjacke, der ihr bereits damals während ihres Besuches in Brick Lane Market aufgefallen war, als er sich erbot, ihr zu helfen.
    Seine Antwort war kurz: »Du bist in London aufgewachsen. Du solltest wissen, dass man niemandem trauen kann.« Doch dann lächelte er, und dieses Lächeln sagte mehr als all die Worte, die ihm folgen sollten. »Aber dies hier ist nicht die uralte Metropole. Wir sind in Paris. Der Cité lumière.« Er packte die Gitarre in eine Tasche und fügte hinzu: »Den Menschen allerdings ist überall mit Misstrauen zu begegnen.«
    Emily schätzte ihn auf einige Jahre älter, als sie selbst es war. Zwanzig, vielleicht.
    »Warum bist du hier?«
    Er schüttelte die Blechdose und ließ die wenigen Münzen rasseln. »Um Geld zu verdienen.« Dann wurde er mit einem Mal ernst. Und es war diese plötzliche Traurigkeit in den dunklen Augen, die Emily dazu bewegten, ihm zu vertrauen. »London ist ein gefährlicher Ort geworden. Nun ja, gefährlich war London schon immer. Aber seit einigen Tagen kommt der Aufenthalt in der uralten Metropole einem Pokerspiel gleich.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Lass uns unterwegs darüber reden«, schlug er vor, schulterte die Gitarrentasche und ließ die Münzen in der Tasche seiner Jeans verschwinden. »Wir sollten hier abhauen. Die RATF-Typen kommen manchmal wieder. Und wenn sie dich

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