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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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er dagegen schlug. »Leider verdient man mit dem Singen in der Métro nicht allzu viel.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Aber immerhin mehr als in London, wo kaum jemand mehr stehen bleibt, um die Musik zu genießen. Die Menschen fürchten sich eben und meiden die Pfade, die durch die uralte Metropole führen.«
    »Und deine Eltern?«
    »Haben mich dafür gehasst.«
    Er redet wirklich viel, dachte Emily. Ja, dafür, dass wir uns kaum kennen, redet er wirklich verdammt viel. Da musste sie Lady Mina Recht geben. Zudem fuchtelte Adam Stewart mit den Händen in der Luft herum, wenn er sprach. Ganz entzückend.
    »Um ehrlich zu sein, war ich vor vier Jahren zum letzten Mal in Kingsbury gewesen, während der Unruhen.«
    »Ich erinnere mich. An die Unruhen, meine ich.«
    »Es hat damals Ausschreitungen in Kingsbury gegeben, und ich wollte nach dem Rechten sehen.«
    »Und seitdem?«
    »Wir haben kein Wort mehr miteinander gewechselt, meine Eltern und ich, und sind im Streit auseinander gegangen. Tja, und jetzt sind sie verschwunden.« Er sah hinaus in den Tunnel. »London ist so weit weg. Und Paris ist eine andere Welt. Irgendwie heller. Du wirst schon sehen, die Menschen hier sind anders.«
    Ja, das würde sie.
    Da war sie sich mittlerweile fast sicher.
    Emily musste an ihren Vater denken. An Richard Swiveller. Der vielleicht auch einmal in Paris gewesen war. Vor langer Zeit einmal.
    »Emily?«
    Sie sah ihn an.
    Er hatte ihren Namen ausgesprochen!
    Wie eine Melodie hatte es geklungen.
    »Du hast dich verlaufen, sagtest du?!«
    Ach ja.
    Sollte sie es ihm erzählen?
    Was würde er von ihr denken, wenn sie von Fegefeuern und Gargylen und ihren Visionen berichten würde?
    Emily Laing, die fremden Menschen gegenüber überaus misstrauisch zu sein pflegte, misstraute, das wurde ihr selbst nunmehr auf verwirrende Weise klar, diesem Jungen aus Kingsbury in keiner Weise.
    Und war es denn nicht möglich, dass man in seinem Leben Menschen über den Weg lief, von denen man einfach wusste, dass sie nichts Böses im Schilde führten? Menschen, die wie eine Melodie waren, die man schon einmal gehört zu haben glaubte? Zu der man augenblicklich mit den Füßen im Takt zu wippen begann und die man beschwingt vor sich hin pfiff, und sei es auch nur in Gedanken? Eine Melodie, die einen an nichts anderes mehr denken ließ als bloß an dieses eine Lied, das einem gar nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte?
    Emily Laing jedenfalls glaubte daran.
    So wie Adam Stewart, den sie erst seit einer knappen Dreiviertelstunde kannte, gewusst hatte, dass er ein Künstler hatte werden wollen.
    Ein Bohemien.
    Ja, Emily hörte die Melodie.
    Und ließ sich von ihr tragen.
    »Was ist passiert?«
    »Frag’ lieber nicht.« Sie schlug den Blick nieder. Der Rucksack, den sie seit der Begegnung mit dem Fegefeuer nicht mehr von der Schulter genommen hatte und der die letzten Blätter der Aufzeichnungen Eliza Hollands enthielt, die Emily noch zu lesen gedachte, schnitt ihr in die Schulter. »Ich werde dir erklären, was passiert ist. Später. Zuerst …« Sie suchte nach einem Grund, das Geständnis hinauszuzögern. »Zuerst brauche ich ein Frühstück.«
    Adam schien nicht verärgert zu sein. »Ja, das Gefühl kenne ich.«
    »Hungrig zu sein?«
    »Nicht zu wissen, ob man jemandem trauen kann.«
    Sie sahen einander an.
    Keiner wich dem Blick des anderen aus.
    Und Emily wurde bewusst, dass er sie nicht ansah, wie andere Menschen sie normalerweise ansahen. Er
betrachtete
sie nicht. Nein, er
sah
sie an. Er sah ihr in das gesunde Auge und gleichzeitig in das Mondsteinauge. Nein, er starrte nicht nur auf den hellen Stein, der sich in ihrer linken Augenhöhle befand. Adam Stewart sah
sie
an. Konnte es sein, dass er ein rothaariges Mädchen sah, das ihm gefiel? Dass er auch eine Melodie hörte, die ihn die Schlechtigkeit der Welt vergessen machte?
    Erschrocken schlug Emily den Blick nieder.
    Nein, so sollte sie nicht denken.
    Niemals.
    »Was ist los mit dir?«
    Ausweichend sagte sie: »Nichts.«
    Dachte aber: alles.
    Alles.
    Und noch mehr.

Kapitel 7
L’Hotel Absinthe de Montmartre

    Emily und Adam verließen die Métro, nachdem sie einmal umgestiegen waren, an der Haltestelle Richelieu-Dronot, weil Adam die Begegnung mit diversen Kontrolleuren, die auf dem Rest der Strecke zu patroullieren pflegten, tunlichst vermeiden wollte.
    »Die standen alle schon einmal vor der Abendkasse des Moulin Rouge und haben nach Karten gefragt, die ein gewisser Emile Nouguier für sie

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