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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Aufenthalt hier rechtfertigte, würde sie jemand fragen. Gerade für den Fall, dass es Scherereien mit den Behörden geben würde, wäre eine gute Erklärung vonnöten.
    »Und?«
    Sie schreckte aus den Gedanken auf.
    »Du hast dich also verlaufen.«
    »Ja«, murmelte sie, »ähm, nein.«
    »Was denn nun?«
    Sag’s ihm doch
, schlug Lady Mina vor.
    »Deine Ratte ist sehr gesprächig.«
    »Rättin«, verbesserte Emily ihn.
    Adam nahm es zur Kenntnis. »Darf ich sie streicheln?«
    Er darf!
    Emily sagte es ihm.
    Und Adam kraulte Lady Mina an der Stirn und zwischen den Ohren.
    »Als ich klein war, da hat mich mein Vater oft mit zum Ravenscourt oder nach Hidden Holborn genommen, um mir die Stadt unter der Stadt zu zeigen. Oft sind wir auf Ratten getroffen, und immer haben sie uns freundlich behandelt. Und manchmal durfte ich eine von ihnen streicheln.«
    »Was hat dein Vater gemacht?«
    »Er war Kaufmann. In der Alperton Gilde.«
    »Hm.«
    »Wir waren oft durch die Stadt unter der Stadt gewandert und dann, vor vier Jahren, nach den Unruhen, da hat er sich zurückgezogen und einen Laden in Kingsbury aufgemacht.«
    Er redet wirklich viel, dachte Emily.
    Er redet ununterbrochen
, bemerkte Lady Mina.
    Die Rättin schien das Gespräch höchst amüsiert zu verfolgen.
    Das tut er, weil er dich mag
.
    Oh, bitte!
    Diese Rättin!
    Genervt zog Emily Lady Mina sachte am Schwanz.
    »Vor zwei Tagen hieß es mit einem Mal, dass die Bewohner der Grafschaft Kingsbury allesamt vom Erdboden verschwunden seien.« Es schien Adam nicht leicht zu fallen, darüber zu sprechen. »Ich habe mein Elternhaus verlassen vorgefunden, als ich dort gewesen bin. Den meisten Menschen, die in die Grafschaft zurückgekehrt sind, ist es kaum anders ergangen. Die Bewohner waren einfach fort. Es war so, als hätten sie mitten in dem, was sie gerade getan haben, inne gehalten und das Haus verlassen.« Er strich sich durch das zerwuschelte Haar. »Das Essen stand noch auf dem Tisch. Der Fernseher lief. Hey, ich weiß noch, dass die Wiederholung einer alten BBC-Serie lief.
The Tripods
. Meine Güte, die hatte ich als Kind geliebt.« Er schluckte. »Tja, als ich dann feststellte, dass es in der Nachbarschaft kaum anders aussah, beschloss ich, London zu verlassen.« Nachdenklich blickte er aus dem Fenster, wo funkelnde Positionslichter in der Nachtschwärze des Tunnels aufleuchteten und das Spiegelbild seines Gesichts für einen kurzen Moment mit einem Funkeln umgaben. »Auf der Küchenanrichte habe ich einige Blutstropfen entdeckt«, flüsterte er vor sich hin. »Es war so seltsam, diese Flecken dort zu sehen. Dort, wo sie eigentlich gar nicht hätten sein dürfen.« Dann sah er Emily an. Schluckte. »Ich rede ganz schön viel, was?«
    Das Mädchen machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ist schon okay.«
    »Hm.«
    Ein Moment des Schweigens verstrich.
    »Und dann«, sagte Emily schließlich, »bist du nach Paris gegangen.«
    »Ich bin früher schon einmal hier gewesen«, antwortete Adam. »Um ehrlich zu sein, gegen den Willen meiner Eltern.« Er blickte nach draußen, wo eine Métro-Station nach der anderen erschien, sich in nahezu gleichen Intervallen immer neue Menschen in den Zug ergossen und stoisch und stumm das Schicksal ertrugen, zusammengepresst wie die Ölsardinen ihrem Ziel entgegenzufahren. »Vor fünf Jahren hatte ich von einer Künstlerkommune in dem kleinen Dorf Montmartre gehört. Bohemiens, die alles taten, was das Leben lebenswert macht. Sie hatten sich der Musik, dem Theater und der Dichtkunst verschrieben. Das klang exotisch genug, um die Schule abzubrechen und nach Paris zu gehen.« Ganz verträumt erinnerte er sich. »In meiner Vorstellung war alles wunderbar einfach gewesen. Ein richtiger Bohemien hatte ich werden wollen. Lieder hatte ich schreiben und Geschichten erfinden wollen. Ja, schreiben und komponieren wollte ich, über die Wahrheit, die Schönheit und die Freiheit. Und natürlich die Liebe. Hey, vor allem über die Liebe.« Er musste lachen. »Am Ende durfte ich feststellen, dass die Romantik des Bohemien-Daseins ein zweifelhaftes Vergnügen ist, wenn man Hunger leiden und in billigen Absteigen hausen muss.«
    »Und jetzt«, hakte Emily nach, »ist es besser?«
    »Naja, ich leide immer noch Hunger und hause in einer billigen Absteige.« Er grinste entwaffnend. »Aber ich bin ein Bohemien. Arm, aber glücklich.« Er klopfte sich auf den Bauch. »Und leider auch immer noch hungrig.« Die Geldstücke klimperten in seiner Hosentasche, als

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