Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
blieb stehen.
»Was geht hier vor?«
Ruhig war seine Stimme.
Besonnen, wo Emily hysterisch zu werden drohte.
»Frag’ besser nicht.«
Womit sich Adam nicht zufrieden gab.
»Du läufst vor irgendjemandem davon«, brachte er seine Vermutung auf den Punkt. »Und ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung, was hinter all dem steckt. Meine Güte, du hättest dich eben sehen sollen.« Er fuchtelte mit der Hand in der Luft herum. »Als du das Plakat entdeckt hast. Ganz bleich bist du geworden, als hättest du ein Gespenst gesehen. Sogar Toulouse ist erschrocken. Wer, in aller Welt, ist diese Estella Havisham oder Eliza Holland? Warum hast du solche Angst vor ihr?«
»Ich habe keine Angst vor ihr.«
»Sondern?«
Emily schwieg.
»Wovor«, fragte Adam erneut, »läufst du davon?«
Emily versagte die Stimme. Da war wieder diese Melodie, der sie lauschen wollte. Ganz und gar lauschen, ohne misstrauisch zu sein.
»Adam?«
»Ja?«
»Ich
muss
dir vertrauen.« Tränen traten ihr in die Augen. Trotzig wischte sie die aufkommende Schwäche hinweg. Sie wollte ehrlich zu ihm sein und hoffte, dass diese Ehrlichkeit dieses Mal erwidert werden würde. »Ich muss dir vertrauen, weil ich allein bin und Hilfe brauche.« Sie fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Weil ich schlichtweg nicht mehr weiterweiß, so einfach ist das.«
Adam sah sie fest an und sagte: »Ich bin kein Verschwörer. Nur jemand, der einem Mädchen über den Weg gelaufen ist, das sich verlaufen hat.« Er wirkte verlegen. »Jemand, der nicht weiß, was er jetzt tun soll.«
Emily musste lächeln.
»Du könntest mir zuhören«, sagte sie.
Und so erfuhr Adam Stewart von den Dingen, die sich zugetragen hatten in der Stadt der Schornsteine und im fernen Ägypten. Von Ghulchissar und den Wesen, die nach London gekommen waren. Von dem Versuch, die Hölle zu finden. Von den Fegefeuern und den Gargylen.
Niemals zuvor hätte Emily gedacht, wie gut es tun würde, dies alles loszuwerden. Adam, der an ihren Lippen zu kleben schien, sagte während ihres Monologs kein Wort, und das, dachte Emily, war wohl der beste Beweis dafür, dass der sonst so redselige junge Musiker auch schweigen konnte, wie gute Freunde es miteinander zu tun pflegen.
Und draußen, hoch über Paris, begannen erste Schneeflocken vom Himmel auf die Stadt des Lichts herabzuschweben, leise und sachte wie Träume, die endlich bereit sind, geträumt zu werden.
Kapitel 8
La ténébreuse
Als Emily und Adam aus dem Nebenzimmer in die rauchgeschwängerte Atmosphäre des Café Absinthe zurückkehrten, hörte sich Toulouse geduldig die wesentlichen Teile der Geschichte, die Emily erzählt hatte, an und gab ihnen den Rat, die Marquise von Montmartre aufzusuchen, die niemand Geringeres war als jene Katzengöttin, die im alten Ägypten als Bastet verehrt worden war und die nun seit Jahren ihre Residenz in einem stillgelegten Kino tief unterhalb des Moulin Rouge bewohnte.
»Sie kennt sich aus in dem Teil der Stadt, der unseren Augen verborgen bleibt.«
»Du meinst die Cité lumière?«, hakte Emily nach.
Toulouse schüttelte den Kopf. »
La ténébreuse
, so nennen wir die eigentliche Stadt unter der Stadt.« Mit einem Mal wurde der Maler ernst. »Es ist ein gefährliches Reich und ganz anders als die uralte Metropole, in der du aufgewachsen bist.«
»Inwiefern?«, wollte Emily wissen.
Die schmalen Äuglein spähten über den Rand des Zwickers hinweg. »Die uralte Metropole ist ein geschäftiger Ort mit vielen Grafschaften und regem Geschäftsleben. So jedenfalls habe ich sie in Erinnerung – mein letzter Besuch in deiner Heimatstadt ist allerdings schon länger her.
La ténébreuse
hingegen ist ein nahezu toter Ort. Die
comté Montmartre
ist zwar relativ sicher, aber dies auch nur, weil Bastet über diesen Ort wacht, doch selbst dort geschehen manchmal seltsame Dinge. Die
comté Montparnasse
wird von den Gabrieliten beschützt. Und den Gare SaintLazare hast du bereits kennen gelernt.« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Kein angenehmer Ort, wahrlich nicht. Nun ja, und der Rest ist mehr oder weniger ein Niemandsland, in dem sich allenfalls zwielichtiges Gesindel herumtreibt.«
»Bist du jemals dort unten gewesen?«, wollte Adam wissen.
»Einige Male, vor langer Zeit.«
»Und?«
»Ich verspüre nicht den Drang, es noch einmal zu tun. Es ist ein beschwerlicher Weg, und wenn man etwas kurz geratene Beine hat, dann wird es kaum besser.«
Emily ahnte, dass da mehr sein musste. Mehr, als Toulouse
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