Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
an.
»Und?«
»Ich kann Dinge spüren, die einmal gewesen sind.«
Mühsam rappelte sie sich auf.
»Diese Gräber hier sind noch nicht alt.«
Du siehst scheußlich aus
, sagte Lady Mina, die zwischen den Blumen saß und Emily voller Besorgnis mit der Schnauze anstieß.
»Danke.«
Behutsam half Adam ihr auf die Beine.
»Was ist das nur für ein Ort?«
»Um das herauszufinden«, hörte Emily mit einem Mal eine Stimme, die sie kannte, »bin ich hierher gekommen.« Ruckartig drehte sie sich um und sah die Gestalt, die langsam aus den Schatten am Rand des seltsamen Friedhofs hervortrat, voller Überraschung an. »Magister McDiarmid hat mich nach Paris entsandt.« Es war ein hagerer Mann, der da stand, gekleidet in purpurrote Beinkleider. Aus dem breitkrempigen Hut, in dessen Schatten sein Gesicht nur eine Andeutung war, ragte eine lange Feder heraus. Er sah genau so aus, wie man sich einen Gaukler aus einem Mittelalter-Film vorstellen mochte. »Miss Emily Laing«, begrüßte er sie. »Es gibt doch noch Zufälle, wenngleich Wittgenstein mir da sicherlich widersprechen würde.« Ein helles Licht hockte auf der Schulter des Mannes. Das Ding, das so groß war wie ein Tennisball, erstrahlte wie eine winzige Sonne.
»Mièville«, stammelte Emily. Sie dachte daran, wie er damals in London mit ihr und den anderen Gefährten in den Abgrund hinabgestiegen war.
Verwundert registrierte Adam, dass der leuchtende Punkt etwas sagte, was in seiner Unverständlichkeit erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Dialekt hatte, der in Manchester gesprochen wurde.
»Dinsdale!«
Der Trunnelstreicher lächelte verhalten, wie es seine Art war, und das Irrlicht, das über seiner Schulter schwebte, leuchtete auf. »Hier«, sagte der Mann, der normalerweise in Hidden Holborn lebte, »nennt man mich Monsieur Morland.« Dann ergriff er des Mädchens Hand. »Endlich habe ich Euch gefunden, endlich.«
Kapitel 9
Les Fleurs du Mal
Mièville aus Hidden Holborn stellte sich Adam höflich und kurz angebunden vor, wie es der Tunnelstreicher Art war, ehe er den jungen Musiker fragte: »Ihr seid ein Freund Miss Laings?«
Nur einen Moment lang zögerte Adam, ehe er mit fester Stimme antwortete: »Wir haben uns erst heute Morgen kennen gelernt.«
Er ist verlegen
, bemerkte Lady Mina.
Mièville, der im Gegensatz zu Adam der Ratten Sprache mächtig war, erfasste die Situation, ließ sich aber nichts anmerken.
»Ihr pflegt noch immer den Umgang mit Ratten?«, wandte er sich an Emily.
»Sie ist die Tochter Mylady Hampsteads.«
Mièville blickte augenblicklich freundlicher und zog den Hut vor der Rättin. »Ich habe Eure Mutter gekannt«, sagte er. »Ihr plötzlicher Tod war ein Verlust. Für uns alle.« Und an Emily gerichtet fügte er hinzu: »Dass man die Ratten verfolgt, zeugt von der Dummheit der Menschen. Verräter befinden sich immer dort, wo man sie am wenigsten vermutet.« Dann setzte er den Hut wieder auf und rückte ihn zurecht. »Doch sagt mir, wo steckt Wittgenstein?«
Emily schlug den Blick nieder. »Er ist fort«, sagte sie und berichtete von der Ankunft am Gare Saint-Lazare und der Fahrt zum Institut du Monde Arabe, von Ahmed Gurgar und Professor Maspero, der sie dort hatte erwarten wollen. Vom Fegefeuer und den Gargylen, die sie am Jardin du Luxembourg überfallen hatten. Von Bastet und ihren Kolibris, die in letzter Minute eingegriffen und sie vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt hatten.
»Dorthin wollen wir.«
»Zur Katzengöttin?«
»Ja.«
Adam sagte: »Toulouse hat uns hierher geschickt, weil er glaubt, dass Bastet die Antworten weiß.«
»Worauf?«
»Wir wollen herausfinden, wer die Gargylen schickte und was es mit den Fegefeuern auf sich hat. Vielleicht gelingt es uns so, Wittgenstein und Micklewhite zu finden. Aurora, da bin ich mir ganz sicher, ist noch am Leben.« Sie berichtete von dem Traum, der eine Vision gewesen war. »Wie ein Sanatorium hat es dort ausgesehen, in dem kargen Raum, und der Arzt, der bei Aurora gewesen ist, war Dr. Dariusz.«
»Der Leiter von Moorgate Asylum?«
»Ja.«
Miéville wirkte nachdenklich. »McDiarmid teilte mir mit, dass Maurice Micklewhite und Miss Fitzrovia verschollen sind und dass Ihr samt Eurem Mentor die Reise angetreten hattet. Leider bin ich aufgehalten worden, sonst wäre ich derjenige gewesen, der Euch in SaintLazare in Empfang genommen hätte. Maurice Micklewhite war mit Monsieur Maspero bekannt. Doch glaubt McDiarmid, dass Maspero während der vergangenen Jahre auch einen
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