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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Lilith?
    »London und Paris«, fuhr Bastet fort, »sind die beiden Metropolen, die alle anderen Metropolen geboren haben. Von hier aus wurden Kriege geführt. Die neue Welt wurde besiedelt, es wurden Kolonien gegründet. Der Nyx lebt unter London. Und Hemera hat Paris zu ihrer Heimstatt auserkoren. Unter ihrem Einfluss sind die Menschen dorthin gewandert, wo ihrer beider Kinder waren. Auf fremde Kontinente und in ferne Länder.« Bastet hob belehrend die Hand. »Was aber wäre geschehen«, fragte sie, »wenn Nyx und Hemera sich verändert hätten?«
    Die Ewigkeit, kam es Emily in den Sinn, ist lang.
    »Ihr meint«, meldete sich Adam zu Wort, »dass sie sich nicht mehr mit dem, was die Stadt ihnen gab, zufrieden gegeben haben?«
    Ein furchtbarer Verdacht kam in Emily auf.
    »Dass ihr Hunger immer weiter wächst?« War es das, worauf Bastet hinauswollte? Dass die boshaften Gefühle, die in der Menschen Herzen geboren wurden, nicht mehr ausreichten, um der Gier dieser beiden ewigen Wesen Genüge zu tun? Dass Nyx und Hemera berauscht sein wollten von Hass und Leid, die wie Opium ihr Bewusstsein füllten?
    »Die Baudelaire-Bruderschaft«, säuselte Bastet den Namen, den auch Mièville genannt hatte, »ist schon sehr alt, wenngleich sie sich früher anders genannt hat. Doch das ist unwichtig. Was sind schon Namen? Einst gab es blutige Unruhen, die Paris erschütterten. Im Jahre 285 fielen Barbaren in das alte Lutetia, wie Paris damals noch hieß, ein, und die Stadt fiel den Flammen zum Opfer. Mehr als fünfhundert Jahre später kamen die Normannen. Der christliche Glaube ließ die Menschen wie tobsüchtig Juden und Ketzer verbrennen, keine tausend Jahre ist dies her. Jahre später wurden während weniger Stunden in einer einzigen Nacht, die als Bartholomäusnacht in die Geschichte einging, alle Protestanten der Cité lumière massakriert. Und dann zerstörten die blutigen Exzesse Robespierres die Ordnung vollends.«
    Emily sah die Gemeinsamkeiten zur Schwesterstadt London.
    Restauration, Glaubenskriege, Feuersbrunst, Pestilenz, Rosenkriege. Die Whitechapel-Aufstände. Am Ende die grausige Manderley-Krise, die das letzte Glied in dieser langen Kette blutiger Ereignisse, die London heimgesucht hatten, gewesen war.
    »Würde es Euch überraschen«, zischte Bastet, »wenn ich Euch sagte, dass die Baudelaire-Bruderschaft bei all diesen Exzessen, die Paris im Laufe der Geschichte heimgesucht haben, die Finger im Spiel hatte?«
    Adam ergriff Emilys Hand. Die Schlussfolgerung dessen, was Bastet da gesagt hatte, war so unglaublich, dass keines der Kinder sich traute sie auszusprechen.
    »Die Baudelaire-Bruderschaft«, brachte es Bastet auf den Punkt, »füttert Hemera. Und dies schon seit Jahrhunderten. Es ist ein Spiel, das niemals enden wird.«
    Emily erinnerte sich an das, was sie durch des fremden Mädchens Augen gesehen hatte. Wieder hörte sie den Sargdeckel zuschlagen und spürte, wie die Fingernägel beim Versuch, sich einen Weg aus dem Sarg zu bahnen, am festen Holz des dunklen Gefängnisses splitterten.
    »Aber warum verschleppen sie ausgerechnet Liebende zu den Friedhöfen?«, flüsterte Adam.
    Bastet schaute nachdenklich auf die schwarze Leinwand, ehe sie sich ihren Gästen wieder zuwandte. »Könnt Ihr Euch das nicht denken?«
    Eigentlich wollte es sich Emily nicht einmal ansatzweise vorstellen.
    »Man fängt Liebende ein, weil das Leid, das aus frischer, echter Liebe erwächst, stärker ist als jenes, das aus bloßer Furcht geboren wird.«
    Ipy, die Sphinx, die sie in den
ègouts de Pigalle
in Empfang genommen hatte, ließ sich auf einem freien Platz neben Adam nieder. Wie eine Katze krümmte sie den Rücken, und das orangegelbe Harlekingesicht bat den Jungen, ihr das Fell zu streicheln.
    »Die Baudelaire-Bruderschaft begräbt Liebende bei lebendigem Leibe. Dies jedoch nicht, ohne ihnen vorher zu offenbaren, dass auf ihren Liebsten oder ihre Liebe ein gar viel schrecklicheres Schicksal wartet.« Bastet berührte den Nasenring. »Im Innern des Sarges kommen dann die Gedanken. Die Furcht vor dem eigenen Tod, ja, auch die. Doch ist die Ungewissheit, was mit dem Liebsten geschieht, nicht viel schlimmer? Die nagenden Zweifel, wie der Partner sterben wird. Ob er sterben wird. Womit sie die Schreie aus ihm herauslocken. Wie sein Leiden wohl aussehen mag.«
    Zu schmerzhaft war die Erfahrung, die Emily in dieser Angelegenheit hatte machen müssen. Die junge Frau, deren letzte Gedanken sie gespürt hatte, war von eben solchen

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