Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Befürchtungen gemartert worden.
»Agonie und Verzweiflung, Resignation und Furcht«, fuhr Bastet fort, »sind der Nährboden für das, was aus diesen Gefühlen erwächst.«
Adam sprach es aus: »Die Pflanzen.«
»Wir nennen sie
les fleurs du mal
.«
Die Blumen des Bösen.
»Unsägliches Leid lässt sie erblühen. Ja, richtige Felder haben die Baudelaire-Verschwörer angelegt, verteilt über die ganze Stadt.«
»Ihr meint, dass die Blumen des Bösen nur wachsen können, wenn sie sich am unsäglichen Leid der sterbenden Liebenden laben?«
»Ihr sagt es, Miss Laing. Von Zeit zu Zeit öffnen sich dann die Abgründe, und die Fühler der Hemera ernten ab, was man ihnen anbietet.«
Die rosigen Tentakelmünder mit den zahnähnlichen Gebilden, dachte Emily und erschauderte.
Adam fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ihr sagt, die Liebenden werden geopfert, um die Blumen des Bösen zu züchten?«
»Genau.«
Deshalb hatte die Cité lumière keine bewohnte Welt jenseits der Métro vorzuweisen. Die
ténébreuse
war eine einzige Falle. Der Teller, auf dem die Baudelaire-Bruderschaft die Mahlzeit anrichtete.
»Mièville hat behauptet, dass Gaston Maspero vom Institut du Monde Arabe ein Mitglied der Baudelaire-Bruderschaft sei.«
»Davon weiß ich nichts«, antwortete Bastet. »Anubis hat mich darum gebeten, eine schützende Hand über Euch zu halten.« Sie seufzte. »Lange habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Seitdem er zum Lordkanzler von Kensington aufgestiegen ist, unternimmt er nurmehr selten Reisen zum Kontinent und in unsere Heimat.«
»Wisst Ihr, wer die Gargylen geschickt hat?«
Es war Ipy, die antwortete: »Es gibt einen Arzt, der sich inmitten der Seine niedergelassen hat. Man sagt ihm nach, dass er dort Experimente von widernatürlicher Art durchführe.«
Bastet sah stolz auf die Sphinx, die ihr wie eine Tochter sein mochte, herab. »Es ist wahrscheinlich, dass er die Gargylen geschickt hat. Dass er sie
erschaffen
hat. Doch aus welchem Grund, kann ich Euch leider nicht sagen.«
Emily dachte an den Traum, in dem sie Aurora gesehen hatte.
»Wie ist sein Name?«
»Man nennt ihn Dr. Moreau.« Bastet sprach den Namen nur mit Widerwillen aus. »Er betreibt ein Laboratorium und eine Klinik für Krankheiten des Geistes auf der Île de la Cité nahe Notre Dame. Das ist alles, was ich Euch über seine Person sagen kann.«
»Wie finden wir ihn?«
Bastet blickte verwundert. »Ihr wollt ihn aufsuchen?«
»Wenn jemand weiß, wo Aurora Fitzrovia abgeblieben ist, dann er.«
»Wir dürfen die Fegefeuer nicht vernachlässigen«, gab Adam zu bedenken. »Immerhin sind dein Mentor und auch der deiner Freundin von einem Fegefeuer verschlungen worden. Es wäre doch zumindest in Erwägung zu ziehen, dass Professor Maspero etwas mit den Fegefeuern zu tun haben könnte.«
»Das ist unwahrscheinlich«, meinte Bastet. »Die Fegefeuer sind Eingänge zur Hölle. Doch muss es dort jemanden geben, der sie lenkt.«
Emily musste an Pilatus Pickwick denken, den Höllenforscher, den Eliza Holland einst in Budapest getroffen hatte und der mit den Geschwistern in das verdammte Dorf Aghiresu gereist war.
»Ihr meint jemanden, der die Fegefeuer auf eine bestimmte Person ansetzt?«
»Ja, Fegefeuer folgen immer einer Witterung.«
Die Vorstellung, dass ein Element wie loderndes Feuer sich ähnlich verhielt wie ein Hund, der sich auf der Jagd befindet, war höchst befremdlich für Emily.
»Ihr meint, dass Wittgenstein und Micklewhite ganz gezielt attackiert worden sind?«, resümierte Adam laut vor sich hin.
Bastet stimmte zu. »Anubis unterrichtete mich von Eurer Ankunft, nachdem ein gewisser McDiarmid aus Islington bei ihm vorgesprochen und ihn gewarnt hatte, es könne zu Komplikationen kommen. Der Bitte meines Bruders folgend, habe ich mich also ins Quartier Latin begeben.« Sie streckte die Hand aus, und ein Kolibri ließ sich darauf nieder. »Kolibris vertilgen temporäre Seelen. Den Steinen, aus denen die unfreundlichen Gargylen bestanden, wurden künstliche Seelen eingehaucht von jemandem, der sich auf diese Art der Behandlung versteht.«
»Dr. Moreau.«
»Möglich.«
»Doch warum hat er das getan?«
»Auf diese Fragen«, meinte Bastet lapidar, »müsst Ihr selbst die Antwort finden.«
Sie erhob sich von ihrem Platz und streckte die Glieder, wie Katzen es zu tun pflegen, wenn sie sich lange Zeit nicht bewegt haben.
»Eine letzte Frage noch«, bat Emily.
Bastet gebot ihr, sie zu stellen.
»Kennt Ihr den Grafen
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