Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
ihrer Gefährten gemacht und mir von ihrem Blut zu kosten gegeben hatte, da waren ähnliche Gedanken in mich eingedrungen.«
»Sie haben erkannt, dass Aurora das Kind von Carathis ist.«
Al-Vathek warf Eliza einen abfälligen Blick zu. »Und ich habe erkannt, dass ich belogen worden war.« Er wandte sich wieder uns zu. »Das Kind, das Eliza hatte beseitigen sollen, war noch am Leben.« Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. »Miss Fitzrovia hat vor Schmerzen geschrien und sich aufgebäumt. Es hatte ausgesehen, als brenne ihre dunkle Haut. Selbst Miss White und der Reverend waren angewidert zurückgetreten.«
»Und als es vorbei war …«
»Wir haben in dieser Nacht das Experiment wiederholt«, gestand al-Vathek. »Mehrere Male. Weil wir in ihr die Tochter der Carathis erkannt hatten. Wir hofften, dass ihr Blut etwas Besonderes sei. Dass der Lebenswille, der in ihr wohnte, außergewöhnlich sei.« Al-Vathek trat vor das Mädchen. »Furchtbar gelitten haben Sie, Aurora Fitzrovia. Ja, es war ein Fehler gewesen.«
»Ich kann mich nicht mehr daran erinnern«, sagte Aurora nur. »Nicht richtig. An die Angst, die ich hatte, ja, daran erinnere ich mich. Aber an nichts Genaues.«
Es war Eliza, die es aussprach: »Fragmente nur. Schatten.«
Al-Vathek stimmte ihr zu. »Wir haben Ihre Erinnerung verändert.«
Emily hielt Auroras Hand.
»Von diesem Augenblick an wusste ich«, fuhr al-Vathek fort, »dass Carathis eines Tages nach London kommen würde, um sich an ihrem Nachwuchs zu laben. Dass ich dieses Wissen für meine Zwecke gebrauchen konnte, stand außer Frage. Aurora sollte der Köder sein, das war damals mein Plan gewesen. Denn Carathis musste Einhalt geboten werden. Was jedoch nur einer einzigen Person gelingen konnte.«
»Lilith.«
»Ihr sagt es, Wittgenstein.«
»Doch warum hat sich Lilith nicht zu erkennen gegeben?«
Al-Vathek meinte süffisant: »Fragen Sie nicht, Wittgenstein.«
Genervt begegnete ich seinem Blick.
Es war Eliza, die antwortete: »Sie nahm sich der unerfahrenen Wiedergänger an und unterrichtete sie in den Verhaltensregeln unserer Art. Vielleicht wollte sie so einen Teil der Schuld, die sie sich aufgeladen hatte, abtragen? Carathis ist ihre Tochter. Dass sie gewissenlos Vinshati produzierte, hat Miss White – Lady Lilith – niemals gutgeheißen.«
»Bevor wir jedoch herausfinden konnten, wer Miss Wilhelmina White wirklich war, entbrannten die Unruhen in London. Lilith opfterte sich, damit der Lichtlord leben und das Übel, das die Stadt der Schornsteine heimgesucht hatte, bekämpfen konnte.«
»Alles, was wir hörten, waren Gerüchte über die Dinge, die sich in der St.-Pauls-Kathedrale abgespielt haben sollten. Geschichten über die Asche der Lilith, die Master Lycidas, wie sich Lucifer damals nannte, in die Hölle gebracht hatte.«
»Und so habt Ihr es Euch zum Ziel gemacht, Lilith zum Leben zu erwecken?«
»Es war … komplizierter.«
Al-Vathek schritt im Raum umher.
Die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»Vor drei Jahren wurde ein Mann in die Klinik hier in Paris eingewiesen, der an einer Persönlichkeitsstörung zu leiden schien und den ich aufgrund meiner langjährigen Aufenthalte in London als seine Lordschaft Martin Mushroom, Oberhaupt des elfischen Hauses von Blackheath, identifizieren konnte. Als Graf von Saint-Germain war ich des Öfteren in Blackheath zu Gast gewesen.« Er kraulte sein Kinnbärtchen. »Kanalarbeiter hatten ihn tief unten in den
égouts
gefunden, wo er ziellos umherirrte und schon seit Tagen keine Nahrung mehr zu sich genommen hatte. Er sprach von einem Abgrund und Dingen, die darin verborgen gewesen seien, faselte von Engeln und davon, seine Frau verloren zu haben. Ein Lichtstrahl habe ihn geblendet, und seitdem sei er, das jedenfalls behauptete er ohne Unterlass, nicht mehr allein.«
»Er lebt also«, murmelte Emily.
Al-Vathek schwieg.
»Ist er der Drahtzieher?«
»Nein.«
»Sondern?«
Al-Vathek breitete die Arme aus. »Ich bin bescheiden«, gab er zur Antwort. Dann wurde er wieder ernst. »Um eine lange Geschichte kurz zu machen – Lord Mushroom unterzog sich einer Behandlung in meinem Sanatorium in Moorgate. Die Genesung schritt voran, und als er wieder ganz bei Sinnen war, da unterbreitete ich ihm einen Vorschlag, den er nicht ablehnen konnte.«
»Ich kann es kaum erwarten …«
»Ihr seid ungeduldig, Wittgenstein.«
»Ja, ich weiß.«
Wir alle spiegelten uns verzerrt in den runden Gläsern der Sonnebrille, die er trug. »Ich
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