Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
der Junge mit den tiefdunklen Augen nichts von ihrem besonderen Talent wissen konnte, war ihr plötzlich allein der Gedanke, darüber nachgedacht zu haben, ihn auszuspionieren, schon peinlich.
    Emily wurde ganz rot im Gesicht.
    Also wurde es Zeit, mutmaßte ich, mich einzuschalten.
    »Nun machen Sie schon«, drängelte ich sie.
    Emily sah zu mir auf.
    Der Junge folgte ihrem Blick.
    »Ihr seid Alchemist?«, fragte er.
    »Wie man sieht.«
    »Dann gebt Acht auf Eure Schutzbefohlene. Man verdient sein Geld nicht leicht hier unten.«
    »Hm«, grummelte ich.
    Ich packte Emily bei der Hand und zog sie weg von dem Jungen.
    »Wir haben eine Aufgabe zu erledigen«, schalt ich sie.
    Ihre Fassung kehrte zurück.
    »Es war ein Versehen«, entschuldigte sie sich und schaute noch einmal zu dem Sitar-Spieler, der wie ertappt die Augen niederschlug.
    Auch daran würde Emily sich später noch erinnern. An den heimlichen Blick aus den tiefdunklen Augen, der ebenso scheu war wie der Blick, den sie selbst dem Jungen zugeworfen hatte.
    »Der Sitar-Spieler hat Ihnen gefallen.«
    Meine Feststellung brachte Emily in Rage.
    »Hat er nicht.«
    »Ihre Gesichtsfarbe hat sich zweifelsohne geändert.«
    »Na und?«
    »Er hat Ihnen gefallen.«
    »Ich habe gegen die Münzdose getreten.«
    »Ach?«
    »Das war mir peinlich.«
    »Und Sie haben nicht mit dem Gedanken gespielt herauszufinden, ob er Sie mag?«
    »Natürlich nicht!«
    Ich blieb stehen und musterte sie streng.
    Wuselnde Inder strömten an uns vorbei.
    Emily senkte den Blick und murmelte: »Es war nur so eine Idee gewesen.«
    »Aha!«
    Wir setzten unseren Weg fort.
    Emily hörte, wie der Junge erneut zu spielen begann. Sie ahnte nicht, wie bald sie dem jungen Musiker ein zweites Mal begegnen würde.
    »Dort ist er.«
    Der Turm mit dem flachem Dach, der sich der Höhlendecke entgegenreckte, bestand aus rotem Sandstein und war über und über mit Versen aus dem Koran beschrieben. Die Säulen am Eingang waren übersät mit Mangalas, hinduistischen Glückszeichen. Hier das Motiv des überquellenden Krugs, dort das lachende Ruhmesantlitz. Neben dem Eingang war eine Kuh an einem Pfosten angebunden und trug einen Blütenkranz um den Hals. Daneben stand eine Frau mittleren Alters in einem einfachen weißen Sari, auf Bengali-Art um den Körper geschlungen.
    Höflichst erbaten wir Einlass, und er wurde uns gewährt.
    Der überraschend kühle Innenraum, den wir sodann betraten, wurde dominiert von einer eisernen Säule mit Inschriften aus der Gupta-Periode.
    Eine Treppe führte an dieser Säule hinauf nach oben.
    Die Frau in dem Sari hatte uns angewiesen, der Treppe zu folgen, die ohne Geländer steil aufwärts führte, bis wir in nahezu zehn Metern Höhe einen Raum mit niedriger Decke betraten, dessen rundes Fenster einen Ausblick auf Brick Lane Market erlaubte.
    Mitten im Raum befand sich ein Brunnen.
    Und vor dem Brunnen waren Kissen zu einer Sitzgruppe drapiert.
    Dort saß der Shah-Saz, den zu befragen wir uns nach der Geschichte im Cheshire Cheese vorgenommen hatten.
    »Seid gegrüßt, Sahib.«
    Der Großteil des Gesichts des Alten wurde von einem ungeheueren, verfilzten Bart bedeckt, der sich wie tintenschwarze Zuckerwatte nach allen Seiten bauschte. Lange Haarbüschel wuchsen dem Shah-Saz aus den Ohren und der gekrümmten Nase heraus. Die Haut war faltig und schuppig wie der Panzer eines Gürteltiers. Die schwarzen Augen zeugten indes von der unaufdringlichen Aufrichtigkeit, die zerfurchte Stirn von der Weisheit des hohen Alters.
    »Wir erwidern den Gruß, Guruj.«
    Er bot uns an, Platz zu nehmen.
    »Ihr habt ein Anliegen, Alchemist?«
    »Ja.«
    »Ihr kommt wegen der Vinshati?«
    »Und wegen der Göttin.«
    Nachdenklich schloss der alte Mann die Augen und schien angestrengt nachzudenken. »Schreine werden errichtet«, murmelte er in seinen dichten Bart. »Zur Besänftigung Kalis.« Er öffnete wieder die Augen, die wie schwarze Perlen im Schein der Fackeln leuchteten. »Doch wird die hämische Göttin Kali sich nicht besänftigen lassen. Nach Blut dürstet es sie. Nur deswegen ist sie hergekommen. Deswegen ist sie immer da.«
    »Was wisst Ihr über die Vorfälle?«
    Der Shah-Saz bot uns Kishmish an, eine Mischung aus Nüssen und Trockenobst.
    »Das, was geredet wird.«
    »Ihr habt von Barkingside Beneath gehört?«
    »Ja.«
    »Ihr kanntet Doktor Grant und Amrish Seth?«
    »Ja.«
    Emily rutschte unruhig auf ihrem Kissen hin und her. Dem alten Shah-Saz schien man doch tatsächlich jedes einzelne

Weitere Kostenlose Bücher