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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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geschart hatte, wurden, sofern man ihrer nicht habhaft werden konnte, für vogelfrei erklärt.«
    »Sie wurden verfolgt?«
    »Ja.«
    Jedermann hatte sie nach eigenem Gutdünken töten können.
    Emily musste an die Hexenverfolgungen denken, von denen Miss Monflathers der Klasse berichtet hatte.
    »Die Regentin der uralten Metropole und der Senat betrauten einen gottesfürchtigen Großinquisitor namens Oliver Cromwell mit der Ausrottung aller Wiedergänger. Angeblich, so munkelten manche, gehörte Cromwell sogar den Black Friars an. Ausführender Arm Lord Cromwells war eine schlagkräftige Truppe Unerschrockener, die sich die Levellers nannten.«
    »Wiedergänger sind also genauso, wie man sie sich vorstellt?«
    »Ich bin noch keinem begegnet.«
    »Aber sie sind gefährlich.«
    »Ja.«
    Das jedenfalls behaupteten alle.
    »Die Vinshati, von denen Eliza sprach und denen wir entkommen konnten«, dachte Emily laut nach, »sind aber keine richtigen Wiedergänger, nicht wahr?«
    »Nein. Die Wiedergänger, von denen die alten Schriften künden, sind zumeist schlaue Wesen. Gebildet. Immerhin haben sie damals selbst Könige beeinflusst. Außerdem gab es talentierte Dichter in ihren Reihen.« Fast schon bedauernd fügte ich hinzu: »Deren Schriften, das sei angemerkt, vernichtet und verboten worden sind.« Allenfalls in den düsteren Antiquariaten der Charing Cross Road, in denen sich Emily bevorzugt in ihrer Freizeit herumtrieb, würde man noch einige der dünnen Bände Lord Ruthvens finden. LeFanu war während meiner Schulzeit in Salem House sogar dermaßen in Verruf geraten, dass Miss Monflathers die wenigen Exemplare, die der Hausmeister in einer alten Kiste auf dem Dachboden des Schulhauses gefunden hatte, im Beisein der gesamten Schülerschaft auf dem Hof hatte verbrennen lassen, von warnenden Worten der späteren Schulleiterin begleitet. »Die Wiedergänger wurden aus der Gesellschaft getilgt«, beendete ich meine Ausführung. »Und sofern noch einige von ihnen unter uns leben, so tun sie dies in ständiger Angst, entdeckt und gerichtet zu werden. Sie sind geächtet. Auf alle Zeit.«
    »Wie die Ratten.«
    Sie hatte es erfasst.
    »Ja«, stimmte ich ihr zu. »Wie die Ratten.«
    Auch Emily dachte in diesem Moment an Mylady Hampstead, die durch die Hand ihres eigenen Sohnes hatte sterben müssen.
    Einst waren die Ratten eine Kaste edler Krieger und Strategen gewesen. Bis einige von ihnen einen unverzeihlichen Verrat begangen und so das Ansehen aller ihrer Art ruiniert hatten.
    »Zu oft geschieht es in der Geschichte«, sagte ich leise, »dass viele für die Fehler weniger büßen müssen.«
    Emily schwieg.
    Während sie sich durch das dichte Gedränge quälte, stetig bemüht, sich von keinem der eifrigen Konkalwallas ansprechen zu lassen, hing sie ihren Gedanken nach, die viel zu ungeordnet waren, als dass sie hätten hilfreich sein können. Aurora tauchte darin auf. Das Waisenhaus. Hampstead Manor in Marylebone. Das elfische Anwesen im Regent’s Park, wo Emilys Wurzeln lagen. Eliza Holland und Ratten und Wiedergänger und Vinshati und Kalidurga.
    »Hey, Lady!«
    Emily erschrak, als man sie so unsanft aus ihren Gedanken riss. Überrascht starrte sie den jungen Sitar-Spieler an, dessen Blechdose voller Geld sie offenbar soeben versehentlich umgestoßen hatte, sodass die Münzen in alle möglichen Himmelsrichtungen gerollt waren.
    »Hey!«
    Der Junge stellte den Sitar beiseite und begann schnell die Münzen aufzusammeln, bevor dies andere für ihn tun würden.
    Emily rührte sich nicht.
    Tiefdunkle Augen hatte der Junge.
    Daran würde sie sich auch später noch erinnern.
    Verwuscheltes braunes Haar.
    Bluejeans.
    »Entschuldige«, hörte sie sich wie von Ferne sagen.
    Dann half sie dem Jungen, die Münzen aufzusammeln.
    »Du bist kein Inder«, murmelte sie unsicher und fragte sich sogleich, was genau sie dem Jungen damit sagen wollte. Augenblicklich war ihr die Bemerkung peinlich, und noch bevor sie die Worte ganz ausgesprochen hatte, da wünschte sie sich bereits, sie unter dem Mantel des Vergessens verschwinden lassen zu können.
    Verwundert hielt der Junge inne.
    »Nein, und?«
    Emily schluckte.
    Vergewisserte sich, dass die Haarsträhne ihr Mondsteinauge verdeckte.
    Für einen Sekundenbruchteil spielte sie mit dem Gedanken, einen vorsichtigen Blick ins Bewusstsein des Jungen zu werfen. Für eine geschulte Trickster wäre dies kein Problem, dessen eingedenk jedoch in hohem Maße unhöflich. Und obwohl sie sicher war, dass

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