Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Wasseroberfläche entdeckt hatte. Vor ihm, jenseits des Strandes, erhoben sich die Mauern jener geheimnisvollen Stadt.
»Und als ein Fremder in einem fremden Land«, sagte der Shah-Saz, »watete er zum Strand.« Emily war, als lege sich ein Schatten über die Augen des Alten. »Dort wurde er bereits erwartet.«
Von einer Frau, die schön war wie die Sünde.
Ihr seid der Mann von der See
, hauchte die Schöne.
Sie streckte die Hand nach ihm aus, und als al-Vathek die kalte Hand ergriff, da verblassten die Erinnerungen an sein bisheriges Leben.
Ich bin Carathis
, sagte die Schöne.
Ich habe Euch erwartet.
Was für ein Land ist dies?,
fragte al-Vathek.
Nun, dies ist Das Land.
Hat es keinen Namen?
Es braucht keinen Namen.
Was für eine Stadt ist dies?
Es ist meine Stadt.
Hat sie keinen Namen?
Dies, al-Vathek
, säuselte sie,
ist Ghulchissar
.
Dann nahm sie ihn mit sich und führte ihn durch die staubigen Straßen der Stadt. Sie gab ihm von dem Trunk, der heiß aus den aufgeschlitzten Hälsen gefallener Engel floss, und al-Vathek gab sich Carathis hin, ließ sich Nächte voller Wunder und Tage der Verzweiflung von ihr zeigen.
Werde mein Gemahl
, sagte sie eines Tages.
Warum?
Weil es Euch bestimmt ist.
So wurde der Kalif in eine Familie aufgenommen, die inmitten der Schatten jener schaurigen Festung lebte und sich von Fleisch und Elend der Menschen, die sich dorthin verirrt hatten, nährte.
Sand rann durch das Stundenglas.
»Al-Vathek war der Schönen verfallen. Voll brennender Sehnsucht waren seine Tage und voll blasphemischer Sünde seine Nächte.«
Allzeit war Carathis bei ihm.
Zeigt mir Eure Welt
, bat sie ihn eines Tages.
Warum?
Weil die Ewigkeit uns gehören wird
.
Und al-Vathek nahm sie mit sich.
Zeigte ihr den Weg.
In die Fluten der See tauchten die beiden ein, und als al-Vathek dies tat, da sah er nicht mehr glitzernde Wellen um sich herum, sondern die steinernen Festungsmauern seines Palastes.
Vor ihm saß der alte Mann, der ihm einst die goldene Schale mit Wasser gereicht hatte.
Habt Ihr eine lange Reise hinter Euch, Herr?,
fragte der alte Mann.
Viele Jahre hat sie gedauert.
Nur wenige Sekunden
, sagte der Stammesälteste.
Nur von einem Atemzug zum anderen.
»Es gibt, wie der Prophet wusste, Räume, in denen die Zeit einem anderen Rhythmus folgt als dem zwischen dem Auf- und Untergang der Sonne.«
Al-Vathek sah sich nach Carathis um.
Doch sie war verschwunden.
Erst als er sich anschickte, den Palast zu verlassen, da bemerkte er, wie schwarz die Mauern rings um ihn herum geworden waren. Dass dicke Wolken die Sonne verbargen. Und abscheuliche Wesen durch die Straßen krochen. Wesen, deren Schreie sich mit denen seiner Untertanen vermischten.
Der Schleier fiel von al-Vatheks Augen ab, und er erkannte die Verzweiflung im Blick des Stammesältesten.
Ich bin hier Geliebter
, hörte er Carathis sagen, die mit einem Mal neben ihm stand.
Al-Vathek begriff, dass er mit der Schönen vereint und die Ewigkeit ihnen gehören würde. Dass sie sich laben würden an der Welt, die vor ihnen ausgebreitet dalag. Dass es Nacht werden würde auf immerdar an den Gestaden seines Reiches.
»Denn Ghulchissar war nach Rub al Chali gekommen.«
Hier schloss der Shah-Saz seine Erzählung.
Die dunklen Augen mit den buschigen Brauen ruhten in dem alten Gesicht. »So kam das Böse in die Welt. Unwissend und blind vor Wollust, machte al-Vathek jene Schönheit mit den Menschen bekannt.« Er ließ die Worte wirken. »Carathis, die in Zmargad gezeugt worden war, lebte fortan in der Welt der Menschen. Gemeinsam mit al-Vathek überzog sie das Angesicht der Erde mit Furcht und Leid und hinterließ ihre Nachkommenschaft, die allzeit nach dem Blut der Lebenden giert.«
Gebannt lauschte Emily den Worten des Shah-Saz.
»Ein Hafenarbeiter vom West India Quay hat Carathis mit eigenen Augen erblickt.« Sein besorgter Gesichtsausdruck ließ nicht den geringsten Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Aussage aufkommen. »Auch Amrish Seth und Doktor Grant habe ich von all diesen Dingen berichtet. Ganz eilig sind sie sogleich aufgebrochen, um die Gegend zu erkunden, von welcher der arme Mann, dem der Schrecken in jener Nacht in alle Glieder gefahren ist, gesprochen hatte.«
Wo immer sich die beiden auch herumgetrieben hatten, sie waren von dort nicht mehr zurückgekehrt.
Emily erinnerte sich des jungen Wissenschaftlers.
»Er ist der arabisch aussehende Sohn eines mittlerweile pensionierten britischen
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