Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith
Bruder Nook«, sagte der andere.
Es gibt keine Zufälle, dachte Emily und erinnerte sich der beiden. Damals, vor vier Jahren, waren sie allerdings keine Mönche gewesen. Nur Häscher, die dem Lichtlord im Tower von London dienten.
»Ihr erkennt uns wieder?«
»Das ist gut!«
»Doch haben wir ein Problem.«
»Das es zu lösen gilt.«
Die Mönche warfen den Vinshati abfällige Blicke zu.
»Bums!« sagte Bruder Nook, der die glimmende Zigarre in der Hand hielt, und lächelte wie ein Fuchs.
»Da hören Sie’s«, sagte Bruder Nubbles, der die Stange Dynamit in der Hand hielt, und grinste wie ein Wolf.
Die Vinshati witterten das warme Blut. Fauchend sprangen sie auf uns zu.
Da erfüllte sich Bruder Nooks Prophezeiung.
Bums!
Kapitel 7
Adelphi Arches
Die meisten Städte erheben sich aus dem Abfall, den sie selbst ausgeschieden haben, und London bildet da mitnichten eine Ausnahme. Weggeworfene und verlorene Gegenstände, zurückgeblieben unter den alten Fundamenten, tragen das Gewicht der Stadt. Und es gibt keinen Ort, an dem dies deutlicher wird als in dem großen Gewölbekomplex, der direkt hinter dem Victoria Embankment zu finden ist. – Adelphi Arches.
»Vor der Erbauung des Embankment«, hatte ich Emily unterwegs erklärt, nachdem mir klar geworden war, an welchen Ort die beiden seltsamen Mönche uns führen würden, »diente dieser Komplex der Stabilisierung des Themse-Ufers.«
Oben nämlich, an der Adelphi Terrace, legten früher die Lastkähne an, und die unterirdischen Wege ermöglichten einen direkten Zugang zu den Anlegestellen. Oft wurden die Gewölbe überflutet, was jedoch niemanden daran gehindert hatte, sie als Waffenlager und später dann als Stallungen zu benutzen.
»Unter künstlichem Licht wurden hier sogar Kühe und Schafe gehalten.«
Als im Jahre 1870 das Victoria Embankment fertig gestellt war, nutzte man Adelphi Arches nunmehr zur Lagerung von Wein und Kohle. Kriminelle und Ausgestoßene ließen sich bald schon in den Gewölben nieder, die noch immer nach Schießpulver und inzwischen auch nach gegorenen Früchten rochen. Farbiger Tabak, Cyprus-Pulver und synthetische Drogen wurden zuhauf gehandelt. Prostituierte, die an der Oberfläche kein Geld mehr zu verdienen wussten, kamen hierher und boten ihre alten und kranken Körper feil. Feiste Fleischmenschen aus Brunswick Wharf fröhnten ihrem widerlichen Gewerbe. Düstere Opiumhöhlen entstanden in den Kammern, und selbst die Damen und Herren der feinen Gesellschaft trieb es hierher.
»Adelphi Arches ist einer der widerwärtigsten Orte in der uralten Metropole. Nirgends sonst«, hatte ich Emily vorgewarnt, »werden Sie mehr Abschaum antreffen als dort.«
Und dort standen wir nun. In diesem Sündenbabel Londons. Wo die Wände selbst geprägt sind von den Abfällen, die der Untergrund in den vergangenen Jahrhunderten in Besitz genommen hat. Kupferne Broschen und Tiegel sind in den Wänden zu erkennen, Lederschuhe und Bleisymbole. Gürtel und Gürtelschnallen. Zerbrochene Gefäße, Figürchen aus Ton und Werkzeuge aus Eisen. Zerrissene Handschuhe und römische Sandalen. Funktelefone. Bemalte Krüge und Knochensplitter. Ein Kinderfußball. Ein CD-Ständer. Ein Pilger-Amulett. Radios und Schuhe und Austernschalen. Viele dieser Reliquien einer anderen Zeit lugen aus den Lücken im Mauerwerk heraus, und dort, wo die Wände aus festem Lehm bestehen, bilden sie schon fast kunstvoll gut sichtbare Schichten, die stumm Zeugnis ablegen von dem Leben, das die Stadt der Schornsteine vor langer Zeit beheimatet hat.
»Den Hafenarbeiter habt Ihr gesucht«, begann einer der beiden Black Friars.
»Drüben am West India Quay«, ergänzte der andere.
»Da staunt Ihr.«
»Fragt Euch, woher wir das alles wissen.«
Sie grinsten. Wie Zwillinge.
»Wir sind Bruder Nook.«
»Und Bruder Nubbles.«
Als wäre damit alles klar.
»Information …«
»… ist unser Geschäft.«
Wieder dieses Grinsen. So überheblich.
»Nun ja.«
»Wie sollen wir’s sagen?«
»Am besten direkt.«
»Auf den Punkt gebracht.«
»Denn das …«
»… ist immer der beste Weg.«
»Daher …«
»Vergesst den Mann.« Bruder Nook machte eine wegwerfende Handbewegung. »Er war eine der Kreaturen, die sich am Engelsblut gütlich getan haben.«
Den Torbogen, der in die Kathedrale geführt hatte, gab es jedenfalls nicht mehr. Die Vinshati, die auf uns zugestürmt waren, lagen nun mit gebrochenen oder vom Körper abgerissenen Gliedmaßen unter einem Haufen Schutt und Stein
Weitere Kostenlose Bücher