Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

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Autoren: Christoph Marzi

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heimgesucht hatten, auch nicht weiter verwunderlich. Ähnlich den Wiedergängern, war nun seit vier Jahren auch die Kaste der Ratten eine von den meisten Bewohnern der Grafschaften geächtete Spezies. Unnachgiebig war die Regentin in dieser Angelegenheit gewesen. Von Anfang an.
    Auch das Ansehen von so genannten Rattenfreunden hatte unter dieser Schande gelitten. Nicht zu reden von denen, die in verwandschaftlichen Verhältnissen zu den Nagern standen.
    »Es tut mir Leid«, hatte mir Emily vor zwei Jahren gestanden, nachdem ich von den bösartigen Beleidigungen hatte erfahren müssen, denen Emily als meine Schutzbefohlene in der Whitehall Schule ausgesetzt gewesen war. »Diejenigen, die solche Dinge behaupten, sind einfach nur dumm.«
    Doch ist die Zahl dummer Menschen nicht Legion?
    Damals jedenfalls hatten wir uns beide ausgegrenzt gefühlt. Ich selbst, weil meine Pflegemutter eine Rättin gewesen war. Und Emily, weil sie als meine Schülerin und Schutzbefohlene mit einem Mal unter dem gleichen Spott zu leiden gehabt hatte wie ich.
    Trotzdem hatte ich den Namen des Anwesens nicht verändert. Und an Aufforderungen des Senats diesbezüglich hatte es nicht gemangelt.
    Hampstead Manor.
    Immer schon war dies der Sitz derer von Hampstead gewesen. Und Mylady Hampstead war eine fürsorgliche Rättin gewesen, die sich eines armen, verängstigten Waisenjungen angenommen und ihn mit nach London genommen hatte. Ewig würde ich ihr dafür dankbar sein. Und niemals ihren Namen verraten.
    Emily ebenso wenig.
    »Miss Laing?«
    Sie schreckte aus ihren Gedanken auf.
    »Ja?«
    »Hören Sie das auch?«
    Emily lauschte.
    Ein lauwarmer Wind wehte uns in die Gesichter und trug ein lang gezogenes Heulen heran, das sich vor uns in der Tiefe des Tunnels mit dem Geräusch einer in der Nähe vorbeifahrenden U-Bahn vermischte. Ein Schrei, wie ihn ein sterbender Vogel ausstoßen mag, überdeckte mit einem Mal das Knurren und Heulen, das lauter und lauter anschwoll.
    »Glauben Sie, sie sind uns gefolgt?«
    Emily schluckte.
    Sie war starr vor Schreck.
    »Seit Waterstones Junction? Unwahrscheinlich.«
    »Dann müsste dies ein neues Rudel sein.«
    Das Entsetzliche dieser Aussage lag auf der Hand.
    Weiter hinten, in der Finsternis des Tunnels, glomm ein unruhiges Licht.
    »Was ist das nur?«
    »Sehen Sie nach«, forderte ich meine Begleiterin auf.
    Emily konzentrierte sich.
    Denn Emily Laing, in deren Adern menschliches und elfisches Blut zu gleichen Teilen fließt, ist das, was man in der uralten Metropole als eine Trickster bezeichnet. Ein Wechselbalg mit Eigenschaften, über die nicht jederman verfügt. Eine Trickster, die nahezu mühelos die Tür zum Bewusstsein anderer Menschen zu öffnen vermag. Die sehen kann, was andere sehen. Die fühlen kann, was andere fühlen. Selbst wenn kein Leben mehr in einem Körper zu finden ist, kann Emily die Tür öffnen und sich an die Gefühle von einst zu erinnern versuchen. Nur wenige Trickster sind dazu in der Lage. Nur wenige gehen dieses Wagnis ein. Das, was wir als Toderfahrung bezeichnen.
    »Es sind viele«, stellte sie fest und sah klar und deutlich durch fremde Augen, in denen sich gleißendes Licht und Feuer der Verzweiflung spiegelte.
    »Sie sind hungrig«, sagte das Mädchen.
    Dann blinzelte sie.
    Es war vorbei.
    »Was haben Sie gesehen?«
    »Jemand stirbt«, antwortete sie.
    Ganz verwirrt.
    »Durch die Vinshati.«
    Irgendwo dort vor uns mussten sie sein.
    Schon wieder.
    Als befände sich irgendwo in dieser Gegend ein Nest.
    »Kommen Sie«, flüsterte ich und ging voran.
    Bald schon wurde das Heulen lauter, und das Licht vor uns erhellte die aus grobem Stein gemauerten Tunnelwände.
    »Wie viele Kreaturen sind dort?«
    Emily antwortete nur: »Fragen Sie nicht.«
    Ich warf ihr einen Blick zu.
    Sie sagte: »Viele.«
    Sonst nichts.
    »Wie beruhigend.«
    Langsam führte uns der röhrenförmige Gang zur Quelle des Lärms. In ein großes kathedralenartiges Backsteingewölbe, das erfüllt war vom vogelartigen Kreischen eines Wesens, das um sein Leben kämpfte.
    Eng an die Wand gedrückt, näherten wir uns diesem Ort des Grauens.
    Ein prächtiger Engel erwehrte sich einer Horde Kreaturen, auf welche die Beschreibungen zutrafen, die wir von den Vinshati erhalten hatten. Im Feuerschein des Engels vermochten wir sie deutlich zu erkennen. Einst waren es wohl Menschen gewesen. Jetzt ähnelten sie dem, was sie einst gewesen waren, nicht mehr. Es waren die gleichen Kreaturen wie diejenigen, die den Zug in