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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Landsitz in seinem Bettchen lag und in ihren Träumen Besuch von ihrer großen Schwester erhielt.
    »Eigentlich sind wir beide Waisenmädchen«, sagte Emily oft.
    Denn genau das waren sie.
    Immer noch.
    Würden es immerzu sein.
    Irgendwie.
    Denn bereits vor Jahren schon war Mia Manderley nach Moorgate Asylum eingewiesen worden. Die Wahnvorstellungen, die schon so lange Besitz von der jungen Frau ergriffen hatten, wurden schlimmer und machten eine weitere Pflege in den Mauern des großen Anwesens unmöglich. Nachdem Martin Mushroom davon erfahren hatte, dass Mara nicht seine leibliche Tochter war, hatte er die Ehe augenblicklich gelöst, und Mia war krank an Körper und Seele in ihr Elternhaus am Regent’s Park zurückgekehrt.
    Blieb noch Mylady Eleonore Manderley.
    Emilys Großmutter.
    Eine herrische alte Frau war sie, verbittert und egozentrisch, die es nach jener Macht dürstete, die das Haus vom Regent’s Park einmal besessen hatte und niemals wieder erlangen würde.
    »Kein Kind«, hatte selbst ich damals erkannt, »sollte dort aufwachsen müssen.«
    »Dann bringt sie fort«, hatte Peggotty vorgeschlagen.
    »Bitte!« Emily wusste am besten von uns allen, welch düsterer Ort Manderley Manor war. Ein Ort, an dem kein Kind glücklich werden würde. »Wir müssen rasch handeln.« Emily hatte es gespürt.
    Die zahnschwitzende Furcht, die Mara gelähmt hatte.
    Jener Knoten aus Angst und Würgen.
    Die alles in sich vereinnahmende Furcht vor der wahnsinnigen Mutter, die man in der Dachkammer eingesperrt gehalten hatte wie ein wildes Tier und deren tobsüchtige Schreie verzweifelt und kreischend ihren Widerhall in den langen Korridoren gefunden hatten.
    Emily hatte bereits damals den Kontakt zu Mara gesucht, und in Bildern und Gefühlen hatten sie miteinander gesprochen, ohne sich dabei in die Augen blicken zu können.
    Denn es war ihnen verboten gewesen, einander zu sehen.
    Mylady Manderley, die eigentlich Emilys Großmutter war, hatte sich hartnäckig geweigert, mit dem rothaarigen Waisenmädchen, das ein Kind des ihr so verhassten Richard Swiveller war, zu sprechen. Als sie es dann doch getan hatte, war Emily ganz kalt ums Herz geworden, so abweisend und herablassend war ihr die eigene Großmutter entgegengetreten.
    »Niemals«, hatte sich Emily Laing damals geschworen, »wird dies meine Familie sein.« Ein Blick auf den abgenutzten Stoffbären, der einen Ehrenplatz in ihrem Zimmer einnahm, bestärkte sie allzeit darin, dass dies die richtige Einstellung gewesen war.
    »Du hast eine neue Familie gefunden«, hatte Eliza Holland ihr einmal gesagt. »Deine eigene Familie. In Marylebone. Und Aurora Fitzrovia hat ihre Familie in Hampstead Heath um sich.« Die Quilps. Denn das war es, was zählte. »Die Blutlinie«, wurde Eliza nimmer müde zu betonen, »zählt nichts.«
    Familie, das ist etwas anderes.
    Etwas, das tiefer als Freundschaft und heller als Licht ist.
    Wenn Peggotty Emily tadelnd auf den Zustand ihrer Schultasche hinwies, was, das sei hier angemerkt, zum allmorgendlichen Ritual der beiden gehörte, dann fühlte Emily in den lautstarken Beschimpfungen der Köchin und Haushälterin mehr Zuneigung, als sie es jemals bei ihrer Großmutter verspürt hatte.
    Die Vorladungen bei Miss Monflathers, denen ich regelmäßig Folge leistete, gar nicht zu erwähnen.
    »Dort gehöre ich hin«, sagte Emily oft und meinte damit wohl gleichermaßen Marylebone und London und die Menschen, die das Leben mit ihr teilten.
    Und wenn man sie auf die Unordnung, die sich ihrer Dachkammer und der Lernmaterialien gleichermaßen bemächtigt hatte wie die Pestilenz des 17. Jahrhunderts der Stadt der Schornsteine, da pflegte sie nurmehr zur Antwort zu geben: »Das bin nun einmal ich.«
    Aurora gegenüber hatte sie sogar die Vermutung geäußert, dass dieser Hang zur Unordentlichkeit das Erbe ihres Vaters sein mochte.
    »Richard Swiveller war Musiker. Und Künstler sind meistens keine Ordnungsfanatiker.«
    Das jedenfalls war die Welt, wie Emily Laing sie sah.
    Und die sie auch ihrer kleinen Schwester mitzuteilen pflegte.
    Wie in jenen Nächten saß Emily auch in dieser Nacht unter dem Fenster, beobachtete die Wolken, die eine dichte Decke am Firmament gebildet hatten, und vertraute die Gefühle und Erinnerungen, die tief in ihr drinnen schlummerten, den Flügeln der Nacht an, die sie nach Cornwall in das große Landhaus mit dem Kaninchenloch in der Wiese dahinter trugen, das ihre Schwester nun ihr Heim nannte. Bilder vom verregneten London

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