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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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waren es, von exotischen Orten tief unter der Erde, die Mara mit den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht in Verbindung bringen würde, die Miss Anderson ihr manchmal vor dem Einschlafen vorlas. Die Gesichter der beiden Black Friars, Bruder Nook und Bruder Nubbles, die Mara von früher kannte, als die beiden noch andere Namen getragen und einem anderen Herrn gedient hatten. Bilder von den Gängen der Whitehall Schule. Marylebone. Aurora und Eliza Holland. Von dem hübschen Sitar-Spieler unten in Brick Lane Market, der Emily nachgeschaut hatte. Farben entstanden aus den Emotionen, die ineinander flossen wie die Rinnsale auf dem Fenster. Farben, die Mara verstehen konnte. Die sie schmecken und fühlen konnte und die ihr zum Teil Tränen in die Augen trieben, weil sie die Angst spürte, die sich wie ein Knoten um das Herz ihrer großen Schwester gelegt hatte.
    »Em’ly«, flüstert Mara schließlich.
    Und sie schickte ihrer Schwester Bilder, die einfach nur schön waren und ohne den dunklen Schatten eines Knotens. Steilklippen, die hinter dem Landhaus aufragen und denen sie sich nicht nähern darf. Sonnenstrahlen, die sich in den Wellen brechen. Charles Dodgson, der eine Pfeife raucht und ihr das Kaninchenloch in der Wiese zeigt und die Geschichte erzählt, die der Emilys so ähnlich ist. Miss Anderson, die im Hauseingang steht und einen Teller mit Leckereien in den Händen hält.
    »Em’ly.«
    Es gibt da ein Bild, das Mara ihr immer dann schickt, wenn sie ihre große Schwester aufmuntern will. Und es ist diese Erinnerung, die Emily jedes Mal zu Tränen rührt. Weil es ihr erlaubt, sich so zu sehen, wie ihre kleine Schwester es damals getan hat. Im Schlafsaal der Neuzugänge, wo Mara in dem Bettchen gelegen und gar nicht gewusst hatte, wer das ältere Mädchen war, das sie besorgt betrachtete. Ganz geborgen hatte Mara sich gefühlt und keine Angst mehr verspürt.
    Denn das ältere Mädchen gehörte zu ihr.
    Ganz sicher war sich Mara damals gewesen.
    Einfach so.
    Als sich ihr bleiches Gesicht im Glasauge ihrer Schwester gespiegelt hatte, da hatte sie gefühlt, was nur Schwestern füreinander empfinden können.
    Und diese Gefühle waren es, die Mara ihrer Schwester auch in dieser Nacht zum Geschenk machte. Die Emily aufmunterten und sie daran glauben ließen, dass, was immer auch geschehen mochte, alles wieder gut werden würde.
    Während Emily in Gedanken nach Cornwall reiste und ihrer Schwester einen Besuch abstattete, schlief Aurora auf Emilys Matratze in Marylebone bereits tief und fest. Als Emily jedoch zurückkehrte von der felsigen Küste, die nun ihrer Schwester Zuhause war, da bemerkte sie, wie unruhig sich Aurora im Schlaf herumwälzte. Unverständliche Worte murmelte sie, und als Emily zu ihr unter die Decke kroch, da klammerte sie sich an ihre Freundin, als habe sie schreckliche Angst davor, von den wankelmütigen Flügeln der Nacht hinfortgetragen zu werden an einen Ort, an dem sie allein sein würde. Beruhigend Emily daher auf sie ein und strich ihr übers Haar, bis die Albträume schwanden und Aurora ruhiger schlief.
    »Du hast geweint«, sagte Emily ihrer Freundin am Morgen. »Im Schlaf.«
    Aurora nickte trübselig.
    »Ich habe geträumt.«
    »Albträume?«
    »Seltsame Träume.«
    Dann verschwand Aurora überaus schnell im Bad, und erst am Frühstückstisch konnte Emily das begonnene Gespräch fortsetzen.
    »Willst du es mir erzählen?« fragte sie ihre Freundin.
    Aurora saß da wie ein Schatten ihrer selbst. Ganz still. In sich gekehrt.
    »Da war eine Stadt. In der Wüste.«
    »Ghulchissar?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und?«
    »Eine wunderschöne afrikanische Frau.«
    »Carathis?«
    Aurora sagte entschlossen: »Nein, nicht Carathis. Nun ja, ich weiß natürlich nicht, wer sie gewesen ist. Wunderschön war sie. So viel ist sicher. Und Carathis stelle ich mir irgendwie anders vor.« Dann lächelte sie. Zu zögerlich, um die Verwirrung verstecken zu können.
    Nachdem sie den ganzen vergangenen Tag mit Recherchen im Museum verbracht hatte, wäre es wohl kaum verwunderlich gewesen, wenn Aurora von diesen düsteren Gedanken heimgesucht worden wäre.
    »Das Gesicht der Frau«, fuhr Aurora fort, »hat irgendwie ausgesehen wie mein eigenes. Nein, das ist nicht richtig. Es hat schon ganz anders ausgesehen, aber irgendwie habe ich mich mit diesem Gesicht verbunden gefühlt.« Ratlos fixierten Auroras dunkle Augen den Toast, der erkaltend vor ihr auf dem Teller lag. »Ich bin mir sicher gewesen wie niemals

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