Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
»Un’ wat hammse als Zoll zu biet’n?«
    Emily wusste, wonach es einen blinden Gatekeeper verlangte.
    »Nehmt dies.« Sie beförderte einen Duftbaum aus gelber Pappe aus der Manteltasche hervor. »Und gewährt uns Einlass.« Nie würde sie verstehen, weshalb sich Menschen diese Dinger in die Automobile hingen.
    Der Gatekeeper griff blindlings mit einer Schnelligkeit, die man ihm aufgrund seines Aussehens in keiner Weise zugetraut hätte, nach dem Duftbaum und hielt sich das Ding vor die Nase, inhalierte tief und lächelte zufrieden und aufrichtig dankbar. »Zitrus-Orange«, murmelte er, »ham’se Dank, de’ Ladys. Is’’n guta Duft. Jo, isses, in da Tat.«
    Er trat zur Seite, und Emily erkannte die Spraydose mit Tränengas, die er allzeit versteckt im Ärmel hielt und die zur Abwehr unbefugter Eindringlinge dienen mochte.
    »Sicher’n Tritt wünsch ich de’ Ladys«, verabschiedete er die beiden.
    »Die besten Wünsche auch Ihnen.«
    Und so traten die Mädchen ein in die Nebentunnel von Farrington Station, die bis hinunter nach Moorgate führten. Fette rotgelbe Kabel liefen an den Wänden entlang, zur Warnung übersäht mit zackigen High-Voltage-Zeichen: Die Stromleitungen, die das East End versorgten, lagen offen da.
    Ein kalter Wind blies den Mädchen in die Gesichter.
    Emily hatte ihre Taschenlampe eingeschaltet, und Aurora tat es ihr gleich.
    Nicht alle Tunnel waren beleuchtet.
    Nur die stark begangenen Routen.
    Wozu dieser hier eindeutig nicht gehörte.
    Von Ferne vernahmen sie das Geräusch vorbeifahrender Züge. Irgendwo über ihnen musste rot und laut die Circle Line verlaufen.
    Ihrer beider Schritte hallten durch den Tunnel, dessen Wände aus groben Ziegelsteinen bestanden, in deren Ritzen allerlei Getier das Weite suchte, sobald die weißen, sich windenden Körper von dem Lichtstrahl gestreift wurden.
    »Spürst du etwas?«
    »Außer uns ist niemand hier.«
    Das beruhigte Aurora.
    Vorerst jedenfalls.
    Die beiden Mädchen sahen einander im fahlen Licht der Taschenlampen an und setzten dann schweigend ihren Weg fort.
    »Hütet Euch vor dem Moor«, war eines der geflügelten Worte hier unten.
    Denn jenseits von Moorgate befindet sich das Moor.
    Eine düstere Landschaft, wo die brackigen Abwässer der City eine Kloake aus Exkrementen, Schlick und gar seltsam geformten Pflanzen geschaffen haben, die kaum jemand lebend durchschritten hat. Es ranken sich Legenden um diese Gegend. Natürlich. Um die Wesen, die hier gelebt haben sollen in den Zeiten, als London noch Londinium hieß und die Region, die nicht weit von hier liegt, die eigentliche Stadt gewesen war.
    Die römischen Ruinen von einst sind in den Untergrund gesunken und dienen den Gilden nun als Handelsrouten. Zwischen den sumpfigen Gefilden von Moorgate und der Cannon Street liegen diese Ruinen. Die Kathedrale von St. Pauls ist dort erbaut worden. Direkt über einem Abgrund, der nunmehr verschlossen ist.
    »Seltsame Gegend.«
    Dem konnte Emily nur beipflichten.
    Die Bewohner von Moorgate sind wie die Gegend, in der sie leben. Wortkarg. Wie das Moor. Erdig. Feucht. Arbeiter, die aus den Abfällen, die hier unten im Schlick verfaulen, pechschwarzen, stinkenden Torf stechen, mit dem Märkte und Wohnheime und ganze Grafschaften in der uralten Metropole beheizt werden. Bärtige Gesichter mit breiten Mündern, aus deren Winkeln dunkler Kautabak troff, beobachteten die beiden Mädchen. Frauen, deren gegerbte Gesichter im Schatten der Kopftücher aus grobem Stoff verborgen lagen, hoben die Köpfe, als die Mädchen die schmalen Pfade durch das Moor wählten.
    »Ist dies der Weg, den du immer gehst, wenn du hier unten bist?«, fragte Aurora und beobachtete, wie die Abdrücke, die ihre Stiefel im Schlick hinterließen, schnell mit Wasser voll liefen.
    »Ist es.«
    Auch Emily konzentrierte sich.
    Denn das Moor sah nicht so aus, als wäre es ratsam, dort hineinzufallen. Zu dunkel waren die Wasser, zu gierig der Schlamm, zu giftig die farnähnlichen Gewächse, zu rutschig die Pfade.
    Dann sah Emily den Ort, der ihrer beider Ziel war.
    »Es ist eine Brücke«, stellte Aurora fasziniert fest.
    Natürlich hatte Emily ihr bereits davon berichtet. Es jedoch mit eigenen Augen zu sehen, war etwas völlig anderes.
    »Es ist die alte London Bridge.«
    Auch für Emily war der Anblick jener mittelalterlichen Brücke, die nunmehr Moorgate Asylum beherbergte, kein Bild, an das sie sich im Zuge ihrer häufigen Besuche gewöhnt hätte.
    Die Brücke, die einstmals von einem

Weitere Kostenlose Bücher