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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Zeit jung war, lebten die Engel an einem fernen Ort, den sie selbst Himmel nannten. Und es begab sich in jenen alten Tagen, dass eines dieser Wesen in Liebe entflammte zu einer abtrünnigen Menschenfrau. Ra war der Name, den die Ägypter ihm gaben. Ihr, Wittgenstein, habt ihn kennen gelernt: Lycidas, der im Tower von London regierte, bis die Geschehnisse eine für ihn unglückliche Wendung nahmen. Lucifer, wie seine Brüder ihn später nannten, der wegen der tiefen Gefühle, die er Lilith gestand und die er niemals hätte empfinden dürfen, aus dem Himmel verbannt wurde und den die Menschen fortan fürchteten, weil niemand den Unterschied zwischen Hölle und Totenreich kennt.« Anubis inhalierte tief aus der Wasserpfeife, und die Blasen in dem eleganten Gefäß stiegen auf und brachen das Licht der warmen Fackeln, die uns umgaben und den Eindruck erweckten, wir befänden uns am Lagerfeuer in einer fernen Oase und nicht in den Eingeweiden des Kristallpalastes tief unterhalb der High Street. »Der Legende nach herrschte Lilith als Königin im fernen Zmargad, als der Träumer seine Heerscharen entsandte, um sie und ihren Nachwuchs töten zu lassen. Lucifer erreichte das Totenfeld erst nach der Schlacht. Überall suchte er nach Lilith, doch nirgends fand er eine Spur. Die blutrünstigen Gabrieliten, die des Träumers Auftrag ohne Skrupel ausgeführt hatten, waren bereits in den Himmel zurückgekehrt.«
    Emily schluckte.
    Dachte an Madame Snowhitepink und ihre Besuche im Waisenhaus.
    »Inmitten der Leichenteile und steinernen Trümmer fiel Lucifer auf die Knie«, berichtete der Lordkanzler und hielt kurz inne, bevor er sagte: »Und dann tat er etwas, was die Engel normalerweise nicht zu tun vermögen.« Mit einem Mal wirkte der Totengott aus Kensington unendlich alt und müde. »Lucifer weinte heiße Tränen, weil er Lilith zerschmettert und tot glaubte und seinen Himmel, der schon lange nicht mehr mit dem Himmel des Träumers und der anderen Engel identisch gewesen war, auf ewig schwinden sah. Er weinte, und in seiner Trauer formte er aus dem Sand der Wüste und seinen bitteren Tränen eine Totenmaske. Allein die Erinnerung an die wenigen Augenblicke, die er in der Gegenwart Liliths hatte verbringen dürfen, ließ ihn das Antlitz dieser wunderschönen Frau erschaffen. Am Roten Meer sah er sie stehen und stolz und schön den Engeln Widerstand leisten. Wie Musik klangen ihre Worte noch in Lucifers Ohren. Und mit der Glut seines Engelsherzens brannte er aus den Erinnerungen und Gefühlen die Maske zu einem gläsernen Bildnis.«
    »Aber Lilith lebte«, entfuhr es Emily.
    Der Lordkanzler sah das Mädchen an. »Ihr habt sie kennen gelernt.«
    Nach wie vor hörte Emily in ihren Träumen das Lied, das Lilith gesungen hatte. In jener Nacht in der St.-Pauls-Kathedrale.
    »Ja, ich bin ihr begegnet.«
    »Als Lucifer die Totenmaske sah«, fuhr Anubis fort, »da benetzten seine Tränen das gläserne Ding, das Liliths Antlitz war. Und die Maske begann zu ihm zu sprechen. Lucifer, der inmitten des Schlachtfeldes an den Gestaden einer fernen Stadt kniete, hörte die Stimme Liliths. Alle Sorgen fielen von ihm ab, und er machte sich auf zu dem Ort, an dem Lilith sich versteckt hielt und wo er sie endlich in die Arme schließen konnte.«
    »Was dem Träumer gar nicht gefiel.«
    »Ihr sagt es, Kind!«
    Der Rest der Geschichte war uns bekannt.
    Lucifers Aufbegehren im Himmel. Die Revolte, die blutig niedergeschlagen wurde von den Legionen der Gabrieliten, die dem allmächtigen Träumer bedingungslos ergeben waren. Deren Flammenschwerter die abtrünnigen Engel dahinschlachteten oder in die ewige Verbannung schickten. Hinab zur Erde, wo sie der Menschen Schicksal teilen sollten.
    »Und die Maske?«
    »Verschwand«, gab Anubis zur Antwort. »Manche behaupten, sie sei zerstört worden, als Babylon fiel. Andere vermuten sie in der Hölle.« Die Schakalaugen funkelten listig. »Wenn sie zerstört worden ist, dann wäre es müßig, sich Gedanken darüber zu machen, sie zu finden.« Die Lefzen zogen sich zu einem Grinsen zurück. »Wenn sie sich aber, wie ich vermute, in der Hölle befindet, dann wird es Eure Aufgabe sein, sie zu finden.«
    »Um was damit zu tun?«
    »Gute Frage, Wittgenstein.«
    »Nun?«
    »Das herauszufinden, wird auch Eure Aufgabe sein.«
    »Ihr beliebt zu scherzen.«
    »Ich bin Anubis!«
    »Das ist keine Antwort.«
    Der große Totengott knurrte. »London ist Eure Stadt, und wenn Ihr wollt, dass ihr nicht das gleiche Schicksal

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