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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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widerfährt wie einst Achet-Aton, dann müsst Ihr Euch etwas einfallen lassen.« Wütend schlug die Krallenhand in ein Kissen. »Mein Wissen reicht nicht aus, um Euch bis ans Ende des Weges führen zu können. Lycidas war ein Geheimniskrämer, und Lilith hat auch nie etwas über die Maske verlauten lassen. Es war ihrer beider Geheimnis.«
    »Wo«, versuchte ich es diplomatischer, »vermutet Ihr denn die Maske?«
    »Lycidas hat die meisten Dinge von Wert in den Limbus bringen lassen, damals, bevor es zu den Ausschreitungen gekommen ist.«
    »Aber niemand weiß, wo sich der Limbus heute befindet.«
    Das war das Problem.
    Einst hatte es mehrere Zugänge zur Hölle gegeben, gleich hier in London. Doch waren alle Zugänge von den Urieliten versiegelt worden. Und wenn sich die Hölle im Wandel befand, so war nichts mehr dort, wo wir es einst vorgefunden hatten.
    »Sucht den Rat von Pilatus Pickwick«, brachte der Lordkanzler es auf den Punkt, »und findet die Maske der Lilith.« Er seufzte. »Dies ist alles, was ich Euch mit auf den Weg geben kann.« Er hob einen Krallenfinger, der lang und knochig aussah. »Lilith wird Carathis besiegen und der Seuche ein Ende bereiten können. Das ist alles, was wir im Auge behalten müssen.«
    »Erlaubt mir noch eine Frage«, bat ich den Lordkanzler.
    »Sprecht!«
    »Wer ist al-Vathek?«
    »Manche glauben, er sei ein Ghul gewesen. Doch in Wahrheit war er vieles. Kaufmann, Entdecker, Eroberer. Die Beduinen des Sinai nannten ihn den Bezwinger.« Was genau er bezwungen hatte, sagte Anubis nicht.
    »Er weilt in London.«
    »Und will Carathis töten«, sagte Emily.
    »Ja, er kennt Liliths Geschichte, und er will einen Pakt mit ihr eingehen, damit Carathis vernichtet wird. Die Späher haben mir davon berichtet.«
    »Aber warum will er Carathis vernichten?«
    Die Antwort, die uns Anubis gab, hätte unbestimmter kaum sein können: »Er wird seine Gründe haben. Und solange seine Absichten den unsrigen nicht zuwider laufen, sollten wir ihn gewähren lassen.«
    Mit diesen Neuigkeiten im Gepäck verließen wir Kensingtons Kristallpalast und kehrten nach London zurück. Lilith musste zum Leben erweckt werden, wozu wir wiederum die Maske benötigten. Und Pilatus Pickwick war unsere Eintrittskarte in die Hölle.
    Das alles ergab jedoch noch keinen Plan.
    Nicht wirklich.
    »Was tun wir jetzt?«, fragte Emily, als wir in Marylebone die U-Bahn verließen. Abgase lagen wie Nebel in der kalten Luft, und die Autos hupten wütend in ihrem Bemühen, die City zu verlassen. Die Menschen waren hektisch und betriebsam. Wuselten an uns vorbei, und keiner schenkte uns Beachtung.
    Schwere Wolken hingen über London.
    »Fragen Sie mich am besten gar nicht erst«, gab ich meiner Begleiterin zur Antwort.
    Beide schlugen wir die Kragen der Mäntel hoch und beschleunigten die Schritte.
    Dicke Flocken wirbelten durch die eisige Luft.
    »Es hat zu schneien begonnen«, stellte Emily fest.
    Und die Schneeflocken, die unsere Gesichter benetzten, sahen aus wie Tränen, deren wir uns noch gar nicht bewusst geworden waren.

Kapitel 15
Lady Mina

    Emily Laing, die noch zu jung war, um sich alt zu fühlen, fragte sich im Stillen, wie alt man denn sein musste, um sich nicht mehr jung zu fühlen.
    Mit angewinkelten Beinen saß sie auf ihrer Matratze und blickte gedankenverloren zum Fenster hinaus, wo seit Stunden schon dicke Schneeflocken die Stadt der Schornsteine in ein Wintermärchen verwandelten. Wie damals. Als das Licht in der Laterne von St. Pauls noch gebrannt hatte. Als die Engel einen Sturm aus Schnee entfesselt hatten, in dessen Wirbel Lycidas gebannt worden war. Als Mylady Lilith gesungen hatte.
    Du bist traurig
, stellte die Ratte, die seit einem Tag in Marylebone unter dem Dach derer von Hampstead wohnte, fest.
    Die kleinen schwarzen Kulleraugen beobachteten das Mädchen. Das graue Fell, das so samtweich war, wenn es Emilys Haut berührte, schimmerte warm im durch das Fenster fallenden Schein der Straßenlaternen und des schneehellen nächtlichen Firmaments.
    »Ich vermisse Aurora«, gestand Emily.
    Bereits am Morgen war eine Nachricht aus Konstantinopel in Marylebone eingetroffen, in der Maurice Micklewhite seine Absicht bekundete, vom Bosporus nach Paris zu reisen, weil Professor Pickwick allem Anschein nach schon seit einigen Monaten in der Metropole an der Seine weilte, um dort seine Höllenforschungen voranzutreiben. Das Telegramm war von den beiden Reisenden am Bahnhof von Konstantinopel in aller Eile aufgegeben

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