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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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worden, kurz bevor sie erneut im Begriff gewesen waren, den Orient-Express zu besteigen. Jetzt mussten sie unterwegs sein, irgendwo in den Alpen.
    Besorgt betrachtete das Mädchen die Schneeflocken, die draußen vor dem Fenster über der Stadt der Schornsteine ihre nächtlichen Tänze tanzten.
    Du wirst sie wiedersehen
. Die spitze Schnauze der Ratte, die eine Rättin war, rümpfte sich sachte.
Master Micklewhite und deine Freundin werden wohlbehalten nach London zurückkehren.
    »Und wie geht es dir?«
    Ich bin einsam
, sagte die Rättin, die noch sehr jung war.
    So lange schon hatte Emily mit keiner Ratte mehr gesprochen, dass sie schon fast vergessen hatte, wie es sich anhörte. Dass es ein Piepsen war und Schnalzen, das für ihre Ohren einen Sinn ergab. Was sie wiederum daran erinnerte, dass sie ein Wechselbalg war. Anders als die anderen.
    Lusus Naturae.
    In der Küche hatte die Rättin gesessen, wie seinerzeit Lord Brewster im Waisenhaus in Miss Philbricks Küche gehockt hatte. Auf einem Sack Kartoffeln hatte sie in geduckter Haltung gekauert, als Emily am Abend ein Glas Milch hatte trinken wollen.
    Du bist Emily Laing
, hatte die Rättin gesagt.
    »Ja.«
    Angst hatte Emily keine verspürt. Eher Verwunderung ob der Tatsache, dass sich eine Ratte in unserem Haus herumtrieb. Nachdem die Gesellschaft die Ratten geächtet hatte, kam es immer seltener vor, dass man auf Nager traf, die ein Gespräch suchten. Und irgendwie hatte Emily von Anfang an das Gefühl beschlichen, dass es sich bei diesem Tier um keine gewöhnliche Ratte handelte.
    Mina ist mein Name
, hatte sich die Rättin höflichst vorgestellt,
und ich suche einen warmen Platz für die Nacht
. Gezittert hatte der kleine Körper vor Aufregung. Womöglich, hatte Emily sofort gedacht, hat sie Angst, dass ich ihr etwas antun könnte. Aber insgeheim vermutet, dass es ein anderer Grund war, der das Tier hierher getrieben hatte.
    »Wer bist du?«
    Mylady Hampstead
, hatte die Ratte gestanden,
war meine Mutter.
    Emily hatte das Tier nur angestarrt.
    Mit offenem Mund.
    Wenn das keine Neuigkeit war.
    »Dann ist Wittgenstein dein Bruder?«
    Stiefbruder
, hatte die Rättin gepiepst, die Lady Mina war.
    Und dem Mädchen war es gewesen, als kehrten all die unliebsamen und auch schönen Erinnerungen mit einem Mal zurück. Ja, sie hatte die dunklen Augen wiedererkannt. Die Gesichtszüge des pelzigen Wesens.
    »Du hast die Schnauze deiner Mutter.«
    Lady Mina hatte sich darüber anscheinend gefreut.
    Hatte die Ohren angelegt.
    »Und du hast ihr Lächeln.«
    Ich habe sie kaum gekannt
, hatte sie gestanden.
Mylady Hampstead, meine ich.
    Emily war zu der jungen Rättin gegangen und hatte sich vor den Kartoffelsack gekniet.
    Sie ist gestorben und niemals wieder zu uns in die Kanalisation zurückgekehrt. Wir mussten zusammenhalten. Zwölf Geschwister. Von denen ich die Letzte bin. Die Rattenfänger haben die anderen alle geholt. Am Tage. In der Nacht. Ihnen die Felle abgezogen und am Ravenscourt und Müllmarkt verkauft.
    »Warum bist du nicht früher zu uns gekommen?«
    Ich habe mich geschämt. Wegen der Dinge, die den Ratten nachgesagt werden.
    »Aber deine Mutter war eine ehrenwerte Rättin.«
    Trotzdem. Lord Brewster hat uns alle in Verruf gebracht
.
    Lady Mina war ins Stocken geraten.
    Der Ratten Leben,
hatte sie geseufzt
, ist nicht einfacher geworden nach dem, was damals geschehen ist. Allzeit müssen wir uns verstecken. Es gibt Rattenfänger in der uralten Metropole, die Geräte benutzen. Elektronisches Zeug, das uns aufspürt. Gift, das uns die Sinne benebelt.
    Emily hatte das Tier gestreichelt.
    Aber offenbar war die Rättin erst so richtig erleichtert gewesen, nachdem Emily sie zu mir ins Arbeitszimmer gebracht hatte, um mir zu verkünden, dass sich die Familie vergrößert hatte.
    »Wie fühlen Sie Sich?«
    Sprachlos war ich in dem riesigen Sessel versunken, hatte mir verlegen die langen Haare aus dem Gesicht gestrichen und der Stiefschwester, die da auf meiner Hand saß, in die Augen geschaut.
    Verwirrt.
    Überrumpelt.
    »Mina«, hatte ich gemurmelt, »ist ein schöner Name.«
    Ihr sachte über das Köpfchen gestrichen.
    Neuigkeiten hatte sie uns mitgeteilt. Seltsame Geschichten von den Black Friars, die wir nicht zu durchschauen vermochten, die McDiarmid aus Islington aber bereits in meinem Beisein angedeutet hatte.
    Am Ende hatte ich die Rättin mitten auf den Schreibtisch gesetzt, mir den Mantel gegriffen und war in das Schneegestöber hinausgeeilt, weil ich mit

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