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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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einem Mal noch wirklich dringende und sehr viel Zeit schindende Dinge zu erledigen gehabt hatte, die keinen Aufschub duldeten.
    »Aber du musst dich doch nicht mehr einsam fühlen. Dies ist Hampstead Manor«, sagte Emily nun in der Dachkammer zu Lady Mina. »Es ist dein Zuhause.«
    Die Rättin bei sich zu wissen, war sehr tröstlich für Emily.
    Den ganzen Tag über hatte sie an die beiden Reisenden in der Ferne denken müssen. An die fremde Welt, durch sie sich bewegten. An die Gefahren, die auf dem Kontinent lauern mochten.
    Sie hatte die U-Bahn hinüber zur Whitehall-Schule genommen, doch als sie dort angekommen war und die graue Fassade des großen Gebäudes gesehen hatte, als sie der Gruppen uniformierter Schüler gewahr geworden war, die sich tuschelnd auf dem Schulhof und in den langen Korridoren der Schule zusammengerottet hatten, um ihr neugierige und abfällige Blicke zuzuwerfen, da hatte Emily Laing mit einem Mal der Mut verlassen.
    Bisher war sie noch nie allein in der Whitehall-Schule gewesen. Immer war Aurora an ihrer Seite gewesen. Aurora Fitzrovia, die zu ihr stand, was immer auch geschehen mochte.
    Einmal, hatte sich Emily mit Grauen erinnert, hatte einer ihrer Mitschüler ihr während des Unterrichts eine Karrikatur zugeschoben. Das frei von jeglichem Talent dahingekritzelte Bildnis eines Mädchens, in dessen leichenblassem Gesicht ein riesiger, unförmiger Felsbrocken prangte. Der Mund des strichmännchenhaften Mädchens war ein an beiden Seiten nach unten gebogener Halbkreis gewesen. Lusus Naturae, hatte in unsauberer Handschrift über dem Gesicht gestanden. Und darunter hatte ein anderer, nicht minder feinfühliger Schüler geschrieben: hässlich bleibt, was hässlich ist.
    Nach wenigen Augenblicken nur, in denen Emily am liebsten laut losgeschrien hätte, hatten beide Schüler wegen überaus starken Nasenblutens, Schwindels und plötzlich auftretender Kopfschmerzen den Klassenraum verlassen und sich zum Krankenzimmer begeben müssen.
    Alle hatten natürlich gewusst, was geschehen war. Die Trickster hatte von ihren abartigen Fähigkeiten Gebrauch gemacht. Hielt sich für etwas Bessres. Rothaarige Missgeburt, hatte Emily die anderen Schüler hinter vorgehaltener Hand flüstern hören. Steinauge. Hexe. Rattenweibchen.
    Allein Aurora hatte ihr beigestanden. Ihre Hand ergriffen und gemeinsam mit Emily das Schulgebäude verlassen, obwohl Miss Monflathers ihnen beiden dies ausdrücklich untersagt hatte. Den ganzen Tag über hatten sich die Freundinnen in den Geschäften und Cafès von Soho herumgetrieben, bevor sich Emily endlich getraut hatte, nach Marylebone heimzukehren, wo sie eine Strafpredigt ihres Mentors erwartet hatte, die aber ausgeblieben war, weil ihr Mentor es vorgezogen hatte, seiner Schutzbefohlenen von einigen Begebenheiten zu berichten, die sich während seiner Schulzeit in Salem House zugetragen hatten.
    Am Morgen des nächsten Tages waren die Plätze der beiden Schüler, die so schnell den Unterricht hatten verlassen müssen, leer geblieben.
    Und am darauf folgenden Tag ebenso.
    Vorübergehend habe man die beiden in ein Sanatorium überstellen müssen, hatte eine überaus betroffen wirkende Miss Monflathers der Klasse mitgeteilt. Nicht ohne Emily einen bösen Blick zukommen zu lassen. Einen Blick, an den sich das Mädchen während der kommenden Wochen hatte gewöhnen können. Denn Blicke dieser Art waren ihr zuhauf zugeworfen worden. Es waren Blicke gewesen, die nicht mehr schwanden. Die immer da waren, sobald sie in ihrer düsteren Kleidung auch nur durch die nach Putzmittel und altem Holz riechenden Korridore der Schule schlich. Die sie nur ertragen konnte, wenn sie nicht allein dort war.
    Wenn Aurora Fitzrovia neben ihr ging und die bösen Blicke abfing.
    Deswegen hatte Emily ohne Aurora nicht nach Whitehall gehen können.
    Nicht allein.
    Nicht an diesem Tag.
    Stattdessen hatte sie sich in der Stadt herumgetrieben, feststellen müssen, dass Eliza Hollands Laden geschlossen hatte, und war gegen Mittag im alten Raritätenladen gestrandet, wo Edward Dickens sie die Neuzugänge in die hohen Regale hatte sortieren lassen. Eine Tätigkeit, der sie weitaus lieber nachkam, als in der Schule herumzuhängen. Bei der sie inmitten des vielen Papiers, das so voller niedergeschriebener Geschichten und Eindrücke war, ungestört hatte nachdenken können über alles, was ihr durch den Kopf ging seit unserem Besuch drüben in Kensington.
    Später, zurück in Marylebone, war Emily in ihrer Kammer

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