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Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith

Titel: Die uralte Metropole Bd. 2 - Lilith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Inmitten eines Meers aus bunten Kissen saß der Totengott vor einer kunstvollen Wasserpfeife und sah aus, als sei er jeden Moment zum Sprung bereit. Ein Steinbrunnen mit Elfenbeinintarsien erfüllte den grünen Raum, der wie eine Oase anmutete, mit sanftem Plätschern.
    »Eine Seuche hat die Stadt der Schornsteine befallen.« Die Stimme des Totengottes klang rau und heiser. »Eine Krankheit, die sich in Windeseile verbreitet und selbst vor den Toren Kensingtons nicht Halt gemacht hat, wie Ihr sicherlich bemerkt habt.« Er seufzte. »Der infizierte Arachnide, von dem mir die Späher berichtet haben, bildet nicht einmal die Ausnahme.« Und knurrend fügte er hinzu: »Ich hätte sie damals wirklich alle ausrotten sollen.«
    Er schickte sich an zu bestätigen, was ich bereits befürchtet hatte.
    »Die Krankheit«, sprach ich meine Vermutung aus, »beschränkt sich demnach nicht nur auf Menschen.«
    Anubis nickte. »Carathis ist das, was wir in der alten Zeit als Ghul bezeichnet haben. Durch sie verdirbt das reine Blut eines jeden Lebewesens. Die Krankheit macht ihr die Wesen, die aus dem bösen Blut geboren werden, Untertan.« Er sog an seiner Wasserpfeife, die unruhig blubberte. »Sie ist nach London gekommen und verbreitet ihre Pestilenz, wie sie es auch schon in meiner Heimat getan hat.« Emily musste an die Geschichten aus dem alten Ägypten denken. »Doch verfolgt sie, glaube ich, weitaus größere Ziele.« Die Ewigkeit in den schwarzen Augen des Gottes schien sich zu verdunkeln. »Sie ist nach London gekommen, um Rache zu üben. Ja, Wittgenstein, das ist es, was ich glaube. Sagt, kennt Ihr die Geschichte von Seth?«
    Dem Gott der Wüste und des Chaos?
    »Nur das, was in den Büchern steht.«
    Anubis lachte zynisch.
    »Ja, in der Menschen Bücher.«
    Emily schwieg. Sie musste an Aurora denken und vermisste sie wie nie zuvor.
    »Die Erde war nichts als Staub«, begann des Lordkanzlers Geschichte, »als Osiris und Isis nach Ägypten kamen und den Menschen zeigten, was Leben bedeutet.«
    Das Land erblühte, und Ewigkeiten folgten dem Lauf der Sonne. In Abydos, der alten Stadt der Könige, herrschten Osiris und Isis gerecht und weise über die Menschen. Lehrten Demut und brachten die Geschichten der Götter unter das Volk.
    »Bis eine wunderschöne Frau in Abydos erschien«, knurrte der Lordkanzler. »Kadesh war ihr Name, und sie ritt nackt auf einem Löwen in das Land am Nil.«
    Osiris empfing Kadesh und ließ sich von ihren schönen Worten umgarnen.
    »So begann das Unglück.«
    Denn Kadesh war ein Ghul von großer Tücke und Hinterlist. Sie betäubte Osiris mit dem süßen Gift, das von ihren Lippen troff, und sperrte den Körper des Gottes in eine Truhe, die sie in den Nil warf, auf dass sie auf ewig in den schlammigen Grund sinken würde. Mit verderbter Zauberkraft aus dem verborgenen Reich Nubiens, in dem sie geboren worden war, nahm Kadesh die Gestalt des Herrschers an und schickte sich an, über sein Volk zu gebieten.
    »Einzig Seth, der ein Bruder des Osiris war, kam hinter Kadeshs Geheimnis.«
    Er beschattete sie und folgte ihr auf den Beutezügen, die sie des Nachts unternahm.
    Denn Kadesh trank das Blut der Menschen, labte sich an den Schlafenden und Schwachen und Kindern, bis eine Plage das Land überzog, deren niemand mehr Herr zu werden glaubte.
    Seth tat den anderen Göttern die Neuigkeit kund.
    »Und Kadesh wurde verurteilt.«
    Seth, der das Urteil vollstrecken durfte, zerhackte Kadeshs Körper und verstreute die Teile im ganzen Land. Dort, wo das Blut Kadeshs in die Erde sickerte, entstanden unheilige Orte, die von den Menschen gemieden wurden.
    »Was hat diese Geschichte mit dem zu tun, was hier geschieht?«
    »Geduld, Wittgenstein«, wies der Totengott mich zurecht, sog an der Wasserpfeife und strahlte aus, was er sich erbeten hatte.
    Geduld.
    Denn erst das Ende dieser Geschichte würde die Erkenntnis bringen. Ob wir nun wollten oder nicht.
    »Kadesh war zerstört, und die Plage, die von ihr ausgegangen war, verschwand.«
    Die Truhe mit dem betäubten Osiris war vom Nil ins Meer und von den großen Wellen und den Gezeiten bis zum Hafen Byblos getragen worden. Dort erwachte Osiris und kehrte nach langer Reise in sein Heimatland zurück.
    »Doch ist dies nicht der Teil der Geschichte, der für Eure Belange interessant ist.«
    »Sondern?«
    »Kadesh war die Tochter eines mächtigen Ghuls aus den tiefen Wäldern Nubiens. Eines Ghuls, der vor langer Zeit in den Höhlen des Roten Meers gezeugt worden war,

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